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Das GPS hat den Weg aus Rotterdam hinaus prima gefunden. Größtenteils an Kanälen entlang und durch Siedlungsgebiet, nur selten ländlich kamen wir nach Den Haag, wo wir im Binnenhof, zwischen den beiden Häusern des niederländischen Parlaments, Brotzeit machten. Dann ging es weiter, wieder aus der Stadt hinaus, und schließlich gab es sogar Kühe und Schafe und weites offenes Land. So kamen wir schließlich nach Leiden und fanden schnell das kleine B&B, wo wir Zimmer bestellt hatten. Leiden ist sehr hübsch, malerisch und richtig gemütlich, gemessen an den Großstädten, in denen wir zuletzt waren. Keine Wolkenkratzer, sondern hauptsächlich zwei- oder dreistöckige Häuser, viel spielt sich auf den Kanälen ab, deren enges Netz die Stadt durchzieht. Man spürt die altehrwürdige Universität daran, dass viel Jugend unterwegs ist, und an der vielfältigen Gastronomie.

Die Nähe des Meeres bemerkt man durch die allenthalben vorkommenden großen Möven. Ein wenig künstlich wirken sie mit ihren klaren Farben, dem glatten Weiß des Gefieders, dem gelben Schnabel mit der Hakenspitze und den blassroten Füßen mit den Schwimmhäuten. Durchaus echt ist die Fressgier, mit der sie an Mülltüten zupfen, überall sofort zugegen sind, wo etwas auf den Boden fällt, mit ihrem etwas böse blickenden kleinen grauen Auge den Essenden beobachten. Ihre heiseren Schreie begleiteten uns in den Schlaf.

Track Rotterdam-Leiden(GPX-Track)

Gelegentlich hörten wir Leute, die sich auf den Bänken vor dem Eingang unter unserem Fenster unterhielten, sonst war die Nacht ruhig. Das Frühstück offenbar Stayok-Standard, mit dem gleichen klebrigen Dunkelbrot, aber diesmal gab es auch frisch aufgebackene Semmeln.

Rotterdam - Altes Frachtboot vor Skyline

Das Wetter kühl, aber trocken. Wir besorgten uns Tagesfahrkarten für die öffentlichen Verkehrsmittel und fuhren mit einem Umweg übers Touristenbüro am Bahnhof zum Museum Bojimans Van Beuningen. Die Dauerausstellung zeigt von allem etwas, von alten bis zu neuen Meistern, von mittelalterlichen Kruzifixen über chinesische Vasen bis zur Olivetti-Schreibmaschine. Etwas Rembrandt, etwas Canaletto, etwas Dali, etwas von Kandinsky. Mehr oder weniger bekannte Werke in etwas beliebiger Zusammenstellung. Wirklich spannend war eine Installation von Olafur Eliasson in drei großen dunklen Sälen. Starke Lampen schienen schräg auf große Wasserflächen, das reflektierte Licht beleuchtete Leinwände, auf denen sich die Wellenmuster des Wassers abbildeten. Durch Betreten einzelner Bodenbretter konnten die Besucher leichte Wellen der Wasserfläche auslösen, die dann in der Projektion sichtbar wurden.

Rotterdam SkylineDen Rest des Tages verbrachten wir mit Trambahning, Shopping und Sightseeing und zu Abend landeten wir im "Bazar", einem orientalisch angehauchten Großrestaurant, wo wir recht gut und reichlich aßen. Da war dann der Tag in Rotterdam schon wieder zu Ende.

Der geplante Besuch von Sehenswürdigkeiten, der Kirche in Dordrecht und der Windmühlen in Kinderdijk, fiel heute dem Wetter zum Opfer. Es war zwar warm, aber es regnete immer wieder, teils auch sehr heftig, wir fuhren also meist in Regenkleidung und boten so dem kräftig blasenden Westwind besonders viel Angriffsfläche. Vor allem auf den längeren Streckenabschnitten, die wir ohne natürlichen Windschutz auf den Deichen des Lek entlangfuhren, kamen wir nur langsam voran. In Schoonhoven machten wir Pause, kauften bei einem Spar-Supermarkt etwas zu Essen ein und setzten uns gegenüber unter ein Zeltdach. Es gehörte zu einem Event, für den der ganze Platz in ein Strandgelände verwandelt worden war. Mit jeder Menge Sand und Beachvolleyball-Feldern, die durch den Regen zu schwerem Gelände geworden waren.

Auch auf dem Damm wurde es bald schlammig. Über viele Kilometer hin wurde er neu befestigt. Schwere Baumaschinen waren unterwegs, bewegten Erde, rammten Spundwände ein. Die Straße war aufgewühlt und als wir es, alle Umleitungshinweise missachtend, schließlich ans Ende der Baustrecke geschafft hatten, waren Räder, Schuhe und Hosen schlammbedeckt.

Rotterdam Skyline

Rotterdam kam nahe. GPS-geführt fanden wir zur und in die Stadt, staunten über eine Moschee mit zwei recht ansehnlichen Minaretten, über markante Hochhausarchitektur, Hafenkräne, Schnellstraßen und gelangten schließlich zu dem auffälligen Kubushaus, in dem wir wohnen sollten. Der Eingang zum Stayok Hostel allerdings lag so versteckt, dass wir lange Zeit suchen mussten, bis wir ihn gefunden hatten.

Stayok RotterdamDas Gebäude ist architektonisch sehr extravagant, um den Preis ungünstig geschnittener Nutzflächen. Unser Zimmer ist zwar in Schulterhöhe recht weit, am Boden durch die äußere Form des auf einer Ecke stehenden Würfels aber so eng, dass wenig Platz für Gepäck bleibt. Immerhin haben wir eine Toilette, eine Dusche und ein kleines rundes Edelstahl-Waschbecken. Für die Räder gibt es ein winziges Kabuff, das aber gut verschlossen ist. Wir richteten uns ein und gingen dann wieder hinaus in den Regen, um etwas zu Essen zu suchen. Nach einigem Wandern durch Wolkenkratzerlandschaften wurden wir bei Zatkini in der Witte De Wittstraat freundlich bedient.

Track Utrecht-Rotterdam(GPX-Track)

Am Nachmittag war über der münchner Innenstadt ein Unwetter niedergegangen und vielleicht kamen davon die S-Bahn-Störungen, die über den Newsticker gemeldet worden waren waren und wegen deren später Ausläufer wir am ottobrunner Bahnhof warteten und uns die wie immer abwegigen Verspätungsmeldungen aus dem Lautsprecher anhören mussten, die so gar nicht mit den Verspätungsanzeigen an den Monitoren übereinstimmten, welche eher moderat waren und viel besser zu unseren Wünschen passten, denn wir hatten zwar großzügig geplant, aber irgendwann würde es dann doch Zeit sein, zum Hauptbahnhof zu gelangen und den Zug zu erreichen, der uns und unsere vollbepackten Fahrräder nach Amsterdam bringen sollte. Aber die S-Bahn kam, wir erreichten noch leicht unseren Zug, verstauten die Räder an ihren reservierten Plätzen, installierten uns selbst auf unseren etwas schmalen und etwas harten Liegen und rauschten fort in die Nacht. Das Geräusch der Ventilatoren übertönte den nur sehr gedämmt hereindringenden Schienenlärm und der kühle Luftstrahl ließ uns Erkältungen fürchten. Wir dösten im Schunkeln und Rütteln der Fahrt und irgendwann müssen wir wohl eingeschlafen sein.

Kanal bei BreukelenAm Vormittag erreichten wir Amsterdam. Wir beluden unsere Räder, schoben sie auf den Bahnhofsvorplatz, ich schaltete das bereits zuhause anhand der VeloMap Netherlands programmierte Navi ein und war sehr gespannt, wie es uns aus der Stadt hinaus und nach Utrecht führen würde. Es wurde eine interessante Tour. Nach einer etwas abenteuerlichen Platzüberquerung und einem ganz kurzen Stück entlang einer Hauptstraße landeten wir in engen Gassen, in denen sich ein Lokal ans andere reihte, fanden beim Nieuwmarkt Frühstücksgebäck und Kaffee und fuhren dann an Grachten entlang, über Zugbrücken, durch Wohnviertel mit kleinen Häusern und kitschigen Vorgärten und durch aufgeräumt aussehende Großsiedlungen hinaus zu dem hochmodernen Viertel beim Fußballstadion und weiter aufs Land zu weidenden Kühen und Schafen, ländlichen Siedlungen mit kleinen Kanälen und üppigen Hortensienbüschen und schließlich bei Vinkekade auf einen langen Damm über dendiedas Vinkeveensche Plassen, wo die endlos lange gerade Straße links und rechts von zum Teil sehr exklusiv aussehenden Villen gesäumt ist, hinter deren gepflegten Gärten man gelegentlich die weite Wasserfläche erspähen kann. Dann wieder Polder mit Schafen, die sich in der steifen Brise flach an den Boden kauerten und dösten. Schließlich Breukelen. Dann Utrecht.

Man ahnt größere Städte ja von weitem. Die Straßen werden breiter und zahlreicher, Bahnlinien kommen heran, man fährt durch Gewerbegebiete. Das erste Gewerbegebiet, mit dem uns Utrecht empfing, fiel uns zuerst nur durch einen merkwürdigen Stau von Autos auf, die sich durch die Wendeschleife am Ende einer schmalen Straße schoben. Als wir ein Stück weiter den parallelen Radweg entlanggefahren waren, verstanden wir den Grund: den Kanal entlang lagen in endloser Reihe kleine Hausboote mit großen Schaufenstern, in denen Frauen aller Hautfarben und jeglicher Gewichts- und Altersklassen spärlich bekleidet ihre Dienste darboten. In den Autos promenierten potentielle Kunden die Straße entlang. Hin, Wendehammer, zurück, Wendehammer, wieder hin und so fort. Im Weiterfahren begegneten uns einige so auffallend ausstaffierte Radlerinnen, dass wir den Eindruck gewannen, auch die Damen des horizontalen Gewerbes fahren hier, wie sonst auch so viele, mit dem Fiets, dem Fahrrad, zur Arbeit. Bald gelangten wir ins Zentrum von Utrecht, wurden vom Navi in teils überraschenden Windungen hindurch und wieder hinausgeführt und mussten dann etwas im Kreis fahren, bis es uns gelang, den Fehler in der berechneten Route zu überwinden und den Weg nach Bunnik einzuschlagen. Kurz vor dem Ziel nochmal ein paar Missweisungen des nach einem langen Arbeitstag vielleicht schon etwas erschöpften Gerätes, so dass wir fast ins Streiten geraten wären, bis wir am Ende doch noch die idyllisch im Wald gelegene Jugendherberge, das Stayok Hostel erreichten. Wir waren nach Jugenherbergsregeln etwas zu früh dran und mussten etwas vor dem Haus warten, bis wir einchecken durften . Mehrere Gruppen in Schulklassenstärke waren auf dem Gelände. Am Tisch nebenan ein Vater mit Sohn, die auch mit dem Rad gekommen waren. Der Sohn blickte streng und mürrisch, als wäre er zur Strafe da. Schließlich bezogen wir unser Zimmer in einem etwas abgelegenen Haus, richteten uns ein und radelten wieder in die Stadt. Wir gondelten etwas herum, saßen eine Weile auf dem Platz zwischen Universität und Dom und holten uns schließlich bei "Wok to go" Essen in Pappschachteln, das wir gleich auf einer Bank vor dem Lokal verspeisten. Das Abendbier gab's dann in der Bar vom Stayok und ungewöhnlich früh lagen wir in den Stockbetten.

Track Amsterdam - Utrecht(GPX-Track)

Das Appartement in Mainburg war wirklich sehr nett und obendrein absolut günstig. Morgens drehten wir noch eine Runde durch den Ort, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Die Stadt macht einen wohlhabenden Eindruck und ihre Bürger fahren offenbar nicht ganz billige Autos. Der örtliche Rotary Club hatte gerade eine  Kunstmeile 2010 initiiert, von deren Ausstellungsstücken wir einige zu Gesicht bekamen. Besonders nett ein "Fluss-Bett" von Minyoung Paik aus Südkorea.

Kunstwerk von Minyoung Paik

Diese Aktion wurde durch das Hochwasser, das in diesen Tagen auch das Flüsschen Abens führte, nicht beeinträchtigt, wohl aber unsere spätere Weiterfahrt durch Überflutungen an der Isar.  Zunächst ging es vom Wasser unbehelligt, aber unterbrochen durch zahlreiche von der Radwegführung erzwungene Wechsel der Straßenseite entlang der "Deutschen Hopfenstraße" gut voran. Ab Rudelzhausen folgten wir dem Hennebach und kamen über Tegernbach nach Nandlstadt, von dort am Kühbach entlang nach Gründl und von dort aus immer am Mauerner Bach nach Mauern und schließlich nach Moosburg.  Von dort wollten wir nach einer kurzen Pause weiter in Richtung München, aber in den Isarauen waren die Radwege überflutet, so dass wir für unseren Weg nach Freising eine hügelige Route einschlugen: Grünseiboldsdorf, Nieder- und Oberhummel, Hangenham, Marzling. Das war zwar auch schön, aber in der Hitze sehr viel anstrengender zu fahren, als die ebene und schattige Route durchs Isartal. So kamen wir nur langsam voran und entschieden schließlich, die Reise bereits in Freising mit einem Biergartenbesuch zu beenden und dann mit der S-Bahn nach Hause zu fahren. Der Schlamm der Regentage an unseren Fahrrädern war inzwischen gut getrocknet.

Fahrradreinigung nötig

Zustand nach 466 Reisekilometern in Regen und Sonnenschein

Das Brook Lane Hostel in der namensgebenden Oberen Bachgasse in Regensburg ist eine einfache aber durchaus originelle Bleibe. Die Wohnungen eines ehemaligen Altstadt-Mietshauses wurden so umgewandelt, dass die Zimmer einzeln vermietet werden, bei jeweils gemeinsamer Nutzung von Küche und Bad der ehemaligen Wohnung. Es gibt auch ein Appartement für Zwei, aber das war bereits belegt, so dass wir ein einfaches Zimmer in einer solchen "WG" bekamen. Von unseren "Mitbewohnern" sahen wir nichts, nur spätabends wummerte einmal jemand gegen die Tür und begehrte Einlass. Er hatte sich wohl, nicht mehr ganz nüchtern, in der Tür geirrt. Als wir morgens aufstanden, waren wir allein und hatten Bad und Küche für uns. Teebeutel, Zucker und Gerätschaften waren vorhanden, Hörnchen und dergleichen gab es in einer nahen Bäckerei. Gefunden hatten wir das Brook Lane via Internet, als wir von unterwegs aus suchten, um am Ende des Regentages eine trockene Bleibe zu haben. Der Empfang war freundlich und unkompliziert, die Lage zentral, der Preis günstig und so ließ sich der kleine Komfortverzicht für eine Nacht gut verschmerzen.

Nach dem Regenwetter der letzten Tage war dies der erste wunderschöne Sonnentag der Reise. Wir kauften noch eine Landkarte für den weiteren Reiseverlauf und setzen uns auf den Kohlenmarkt zum Morgenkaffe. Touristengruppen zogen durch die Stadt. Wir wollten Regensburg entlang der Donau verlassen, aber als wir bei der Steinernen Brücke ans Ufer kamen, war der Weg überflutet und wir mussten eine Ausweichroute suchen.

Morgenkaffee am KohlmarktHochwasser an der Steinernen Brücke

Prüfening, Pentling, Matting, Bad Abbach. Bis Saal, kurz vor Kelheim, versuchten wir dann nur noch einmal, den Donauradweg zu nehmen, nachdem ein alter Mann gesagt hatte, er sei passierbar. Das war leider falsch, wir bekamen nasse Füße und kehrten um. Eine Entenfamilie paddelte dort, wo der Radweg gewesen war. In Saal verließen wir die Donau und folgten dem Radwanderweg Kelheim-Abensberg. Die Landschaft wurde hügelig und abwechslungsreicher als am Fluss. Es ging immer parallel zur B 16 über Oberteuerting weiter, bei Arnhofen über die Bundesstraße und hinein nach Abensberg. Leider ist dieser Weg nicht so gut beschildert wie die bisherigen, so dass wir manchmal anhalten mussten, um uns zu orientieren. In Abensberg gönnten wir uns eine Kaffepause. Dann ging es auf dem Abens-Radweg weiter, der dem namensgebenden Flüsschen meist nicht unmittelbar folgt, sondern in einiger Entfernung über die Hügel führt. So mussten wir hier nur an einer Stelle einen kurzen Umweg nehmen, um dem Hochwasser auszuweichen. Allersdorf, Rappersdorf, etwas verwirrend durch Siegenburg hindurch und nach Train.

Abens-RadwegPause am Abens-Radweg

Zwischen Elsendorf und Ratzenhofen sahen wir die ersten Hopfengärten der Holledau. Teils waren die Leute damit beschäftigt, Gräben zu ziehen, durch die das in den Äckern stehende Wasser abfließen sollte. Nach dem Dauerregen der letzten Tage waren auch höher gelegene Felder zu Sümpfen geworden. In einer Senke stakte eine Storchenfamilie über ein Feld, auf dem das Wasser stand.

So gelangten wir schließlich nach 75 Tageskilometern in Mainburg an. Der Ort machte einen hübschen Eindruck, aber die beiden Hotels am Platz waren belegt. Per Internet fanden wir dann noch ein sehr nettes ruhiges Appartement in einer Seitenstraße. Die freundliche Wirtin wollte noch das Zimmer herrichten und schickte uns derweil zum Abendessen. Das fanden wir in der in Küche und Ambiente bemerkenswert originalgetreuen Pizzeria La Piazza. Es war wirklich wie in irgendeiner Kleinstadt in Italien. Wirt und bedienender Neffe so italienisch, als seien sie eben erst nach Deutschland gekommen. Wir saßen draußen und um den Kreisverkehr dröhnten jede Menge tiefergelegte Sportwagen auf Abendpromenade, auch ein dickes Motorrad mit lauter Schlagermusik kam mehrmals vorbei. Als die Sonne hinter den Häusern verschwand, wurde es bald kühler, so dass wir uns zum Abendtrunk nach drinnen verzogen. Im Gastraum einfach gedeckte Tische, hinten ein weitgehend leerer Raum mit einem riesengroßen Fernseher und ganz am Ende die düster beleuchteten Toiletten. Italien in der Holledau. Ganz wunderbar.

Die Nacht über regnete es. Als wir morgens früstückten, schien es kurz nachzulassen, aber bis wir losfuhren war der Regen so stark, dass wir Regenkleidung brauchten. Und so sollte es, mit ein paar kurzen Pausen, den ganzen Tag bleiben. Auch die Fronleichnamsprozession, für die schon alles dekoriert und hergerichtet war, fiel ins Wasser. Die Tücher unter den Fenstern, mit denen einige Häuser geschmückt waren, hingen nass und schlapp herunter und die in manchen Straßen aufgestellten jungen Birken blieben unbesungen. Schade drum.

Der Main-Donau-Kanal zieht hier in schönen Schleifen durch das Tal und der Radweg folgt seinem Lauf. Seitenarme und Altwasser bieten gute Brutplätze und so sahen wir auch heute Familien von Schwänen, Gänsen und Enten, einige Reiher und einmal sogar einen einzelnen schwarzen Schwan. Einige von Bibern angenagte Bäume sahen wir auch, und über eine weite Strecke waren die Stämme in Wassernähe mit Drahtnetzen gegen die Nager gesichert.

Natürlich ist es viel schöner, bei Sonnenschein zu radeln, aber wenn man die Aussicht hat, am Ende an einem trockenen und warmen Ort anzukommen, ist auch ein Regentag erträglich. Um uns diese Perspektive zu sichern, bestellten wir schon gegen Mittag telefonisch ein Zimmer in Regensburg.

In Kelheim fuhren wir in die schmucke Altstadt und gönnten uns einen Kaffee. Dann ging es weiter, immer am Fluss entlang, der nun die Donau war. Kurz nach Sinzing überquerten wir die Naab, die hier mündet. Dann war es nur noch ein kurzes Stück, allerdings wegen einer Brückenbaustelle etwas verwirrend. Wir kamen an der Eisernen anstelle der Steinernen Brücke über den Fluss, fanden aber dann sofort den Weg zum Brook Lane Hostel, das seinen Namen nach der Oberen Bachgasse hat, in der es liegt.

Nachdem wir die Fahrräder verstaut, das Zimmer bezogen, frische Kleider angelegt und die nassen Sachen zum Trocknen aufgehängt und ausgebreitet hatten, machten wir uns auf zu einem Stadtrundgang. An der Donau waren Arbeiter an einigen besonders tief gelegenen Stellen damit beschäftigt, Barrieren gegen ein mögliches Hochwasser zu errichten. Der Fluss stand ziemlich hoch und am gegenüberliegenden Ufer war schon eine Wiese überflutet. Auch die dicken Stämme einiger Weiden wurden bereits umspült. Die werden das schon ein paarmal erlebt haben.

Donauhochwasser in Regensburg

Am Dom wollte man nichts mehr von uns wissen, der macht um 18:00 Uhr zu. In der Neupfarrkirche übte jemand Orgel. Vor der Kirche erinnert ein Denkmal, das den Grundriss einer alten Synagoge nachzeichnet, an die Juden, die hier gelebt hatten und in einem Pogrom im 16. Jahrhundert vertrieben worden waren. Eine Tafel am Straßenrand erklärt die geschichtlichen Gegebenheiten und das Monument, sagt, dass die Regensburger es "voller Dankbarkeit und Achtung" angenommen hätten und bittet - irgendwie paradox in dieser Ausdrücklichkeit - darum, "diesen Ort sauber zu halten und jede Beschädigung zu vermeiden". Der Platz werde videoüberwacht.

Synagogendenkmal in RegensburgInfotafel am Synagogendenkmal in Regensburg

Während ich da stand, kümmerten sich drei junge Frauen um eine verletzte oder kranke Taube, die auf der Straße saß. Ein Männchen nutzte ihre Hilflosigkeit und versuchte, sie zu begatten. Sie flatterte auf den Rand des Denkmals, das sich flach auf dem Boden ausbreitet. Als sich die Frauen näherten, flog sie auf und suchte Schutz auf einem Sims über dem Schaufenster eines Geschäfts. Auf dem weissen Stein des Synagogendenkmals blieb ein kleiner roter Fleck von Taubenblut zurück.

Als wir nach dem Abendessen nochmal zur Donau schauten, war das Wasser noch ein ganzes Stück gestiegen, hatte aber nicht den Uferweg erreicht.

Der Hirschenwirt in Wasserzell war wirklich eine angenehme Bleibe gewesen. Bei schwerem grauem Himmel machten wir uns auf, durchquerten nochmal Eichstätt und fuhren dann weiter die sanft mäandernde Altmühl entlang. In Kipfenberg machten wir einen kurzen Abstecher über die Brücke und bekamen in der Pizzeria Cipolla ausgezeichneten Kaffee. Von Pfünz bis ein Stück hinter Kipfenberg war wunderbare Ruhe im engen grünen Tal. Gehört hatten wir einen Kuckuck in diesen Tagen schon mehrmals. Diesmal konnten wir ihn auch sehen, wie er ganz oben auf der äußersten Spitze eines dürren Baumes saß und rief.

Bei Ilbling kam dann die Autobahn heran und zerstörte die Stille. Ein ICE, der vor Kinding aus dem Tunnel auftauchte, war auch sehr laut, aber dieser Lärm war schnell wieder vorbei. Das kontinuierliche Fahrgeräusch der LKW auf der A9 hingegen begleitete uns auf dem ganzen Wegstück. Diese Art von Lärm ruiniert eine Landschaft wirklich ganz und gar.

Hinter Kinding wurde es dann wieder ruhiger. Kurz vor Beilngries fanden wir zum Brotzeitmachen Unterschlupf in einer kleinen Rasthütte, wo wir etwas vor dem kalten Wind geschützt waren. Beilngries ist ein sehr schmuckes Städtchen. Wir machten kurz Halt an der Kirche mit den beiden ungleichen, mit bunten Schindeln gedeckten Türmen. Drinnen war schon alles für das morgige Fronleichnamsfest geschmückt, einschließlich der obligaten jungen Birken, denen es sicher auch an ihrem ursprünglichen Standort noch ganz gut gefallen hätte.

Von Beilngries bis Dietfurt wechselten wir von der Altmühl an den Main-Donau-Kanal. Da lief es etwas langweilig, aber schön flott gerade dahin. Bei dem einzigen Schiff, das wir auf der ganzen Strecke erspähen konnten, stellt sich die Frage, ob der Kanal eigentlich seine Kosten einspielt. In Dietfurt ersparten wir uns die im Plan vorgesehene Umrundung des Wolfsbergs über Mühlbach und blieben gleich am Fluss, der hier noch einmal landschaftlich sehr schön und ruhig ist. Solche Abweichungen von der vorgezeichneten Route lassen sich sehr schön planen, wenn man eine gute topografische Karte hat und an den Umgang damit gewohnt ist. Besser als in jedem Radwanderführer sieht man da die Straßenführung, kann sich an den eingezeichneten Gebäuden, Feldkreuzen, Hochspannungsleitungen und anderen Landmarken orientieren und eben auch mal vom markierten Weg abweichen und dabei anhand von Höhenlinien und zahlenmäßigen Höhenangaben auch noch abschätzen, welche Steigungen und Gefälle zu erwarten sind. Die Serie UK50 vom Bayerischen Landesvermessungsamt leistet uns auch hier beste Dienste. Sie enthält nicht nur die topografischen Basisinformationen, sondern es sind auch Rad- und Wanderwege eingezeichnet, sowie Touristisch interessante Punkte, letztere aber so dezent, dass sie das Kartenbild nicht stören. Der Maßstab 1:50.000 ist zum Radeln optimal geeignet.

Topografische Karte im Kartenhalter

Im leichten Dauerregen erreichten wir nach etwa 80 Tageskilometern Riedenburg, wo wir im Gasthof zur Post ein nettes Zimmer fanden. Nach dem feuchtkalten Tag waren eine geheizte Stube und eine heisse Dusche sehr willkommen. Und das Abendessen in der Post war gut und reichlich.

An die Züge, die auf der anderen Talseite die recht beachtlich ansteigende Bahnstrecke entlang fahren, kann man sich gewöhnen, so dass wir das Schallschutzfenster offen ließen. Interessant wie zu Kinderzeiten die endlos langen Güterzüge aus Kesselwagen und Autotransportern, die man schon lange hört, bevor sie zwischen den Bäumen des Waldes sichtbar werden, und deren Geräusch noch lange nachklingt, wenn sie wieder verschwunden sind. Bahn ist immer faszinierend.

Tagesausflug durch das grüne Tal ins nahe Eichstätt. In der Stadt zähneklappernd über Kopfsteinpflaster. An der Gastronomie erkennt man die Universitätsstadt. Pizzerien und Cafes allenthalben. Dombesichtigung. Im Willibaldschor gegenüber dem Hochaltar zeigt uns der Heilige das Knie. Im Kreuzgang erstaunliche Kunstwerke von einst und jetzt. Noch ein Blick in die Schutzengelkirche. Fünfhundertsiebenundsechzig Engelsdarstellungen soll es hier geben. Wir haben nicht nachgezählt. In der Kapuzinerkirche eine Nachbildung des Heiligen Grabes.

Relief im Kreuzgang des Eichstätter Doms

Nett, wer hier so mitliest. Im Cafe am Domplatz erreichte mich eine Mail vom Bikeline-Verlag. Man bedaure den Fehler, der uns am ersten Tourtag in den Teufelsgraben geführt hat und werde ihn gleich ausbessern. Gut so, und ein schöner Gruß zurück!

Der Weg hinauf zur Willibaldsburg war schweisstreibend, aber von oben gab es einen schönen Ausblick über Stadt und Tal. Das Jura-Museum sparten wir uns, auch wenn es dort einen echten versteinerten Archäopteryx geben soll. Jedes Schulkind kennt die Bilder. Auf den Höhenzügen rund um Eichstätt sieht man wie gelbe Narben im Waldgrün einige Stellen wo der urzeitliche Kalkstein abgebaut wird.

Wer gerne gärtnert, dem sei der Bastionsgarten empfohlen. Nicht, um sich dort selbst mit Harke und Schere auszutoben, sondern zum Schauen und Staunen. Staunen zum Beispiel darüber, dass hier Sträucher zu Kugeln geschnitten vorkommen, die daheim jeden Einsatz der Schere mit jahrelangem Minderwachstum quittieren. Flieder, Kornelkirsche, Forsythie, Schneeball, alles zu Kugeln geformt. Don't try this at home.

Bastionsgarten auf der WillibaldsburgZitronenbäumchen im Bastionsgarten

An den Zitronenbäumchen sind Schilder angebracht, auf denen gebeten wird, die Früchte nicht zu stehlen. Daran scheinen sich die Besucher in der Tat zu halten, was sie aber nicht an anderem Schabernack hindert. Die Zitronen waren prall und groß, wie nie gesehen. Einer besonders runden war mit Edding ein Gesicht aufgemalt.

Erstaunlich auch die Namen. Nicht so sehr die altertümlichen aus dem alten Klosterbuch, nach dem der Garten in jüngerer Zeit angelegt wurde. Sondern die lateinischen botanischen Namen, die gleichfalls auf den Täfelchen angegeben sind und an denen man erkennen kann, dass einige Bewohner des heimischen Gartens eigentlich ganz anderen Spezies angehören, als auf dem Schild im Gartencenter stand. Ich hatte schon immer den Verdacht, dass diese Bezeichnungen vielfach volkstümlich und irreführend sind.

Mit 61 km/h den Burgberg wieder runter. Unten im Stadtcafe gabs feinen Kuchen. Dialog an der Pralinentheke, Verkäuferin und Kundin: "Haben Sie eine spezielle Vorstellung, was es sein soll?" - "Eine kleine Mischung für eine ältere Dame." - "Aha, ohne Nüsse..." So ist das also.

Im Ort allenthalben Radfahrer mit Tagesgepäck oder voller Beladung. Die Mountainbiker erkennt man auch noch in der Kirche an der Schlammspur am Rücken. Warum fährt Mensch ein solches Rad? Wer nicht wirklich in unwegsamem Gelände unterwegs sein will, und das sind wohl die allermeisten, die uns hier begegnen, braucht weder grobstollige Reifen, noch eine Vollfederung, bei der ordentliche Schutzbleche nicht möglich sind. SUV-Räder sind das also, eine ebenso verfehlte Mode wie der beliebte Geländewagen als Familienkutsche. Als ich neulich über eine Fahrt berichtete, fragte jemand: "Rennrad oder Mountainbike?" Touren- oder Reiseräder scheinen etwas aus der Mode zu sein.

Wir fahren, an dieser Stelle sei's einmal verraten, seit fast fünfundzwanzig Jahren Utopia-Reiseräder. Die 'Strandläufer', mit Kettenschaltung, Trommelbremsen, schmalen Tourenradreifen und einer Vorderradgabel, die allein durch die Elastizität des Materials für einigen Fahrkomfort auf rauen Strecken sorgte, haben uns viele tausend Kilometer ebenso über Teerstraßen wie über Waldpfade getragen. Mit Gepäck und ohne. Damals war man stolz auf Rahmen aus elastischen Stahlrohren mit geringem Querschnitt. Als die Mode zu dünnwandigen Rohren mir großen Querschnitten ging, war Schluss mit dem Federungskomfort elastischer Rahmen. Die Nachfolger sind nun Utopia Roadster mit 14-Gang-Nabenschaltung, gekapselter Kette und Scheibenbremsen, und auch sie haben uns schon komfortabel über etliche tausend Kilometer getragen.

Utopia Roadster

Wir verließen Gunzenhausen nach einem späten Abschiedsfrühstück in Richtung Treuchtlingen. Auf einer feuchten Wiese stakte Meister Adebar herum und stocherte im Gras. Gelegentliche Greifvögel in der Luft und tirillierende Lerchen. Hinter Treuchtlingen wurde das zuvor weite Wiesental dann eng und waldig, später ragten manchmal Felsen auf. Bei Pappenheim die hohe Burg, dann weiter, immer an Fluss und Bahn entlang. Schwalben in der Luft, eilige Mäuse über den Weg. Sehr schön auch das letzte Stück, zwischen Dollnstein und Wasserzell. In Wasserzell wollen wir bleiben. Eichstätt ist nicht weit und beim Hirschenwirt ist gut wohnen und essen. Für mich gab es Lebergeschnetzeltes vom Altmühltaler Lamm. Laut Speisekarte war das Tier hier in der Landschaftspflege tätig gewesen und hatte sich gesund ernährt. Heute kam es ein paarmal kräftig nass von oben. Aber im Altmühltal im Regen Radeln gefällt uns immer noch besser, als Strandliegen oder Cluburlaub.

Blick vom Hirschenwirt auf die Bahnstrecke

Köhler ist als Bundespräsident zurückgetreten. Er hat ja manchmal richtige Sachen gesagt, die man ihm als ehemaligem IWF-Direktor gar nicht zugetraut hätte. Ebensowenig hätte ich ihm allerdings zugetraut, mit so wenig Fortüne in die zweite Amtszeit zu starten und jetzt auch noch so ins Schwadronieren über deutsche Militärpolitik zu geraten, dass es letztlich unhaltbar wurde. Auch wenn manche vielleicht sagen, er hätte nur aus dem Nähkästchen geplaudert. Seine Wahl war das Startsignal für Schwarz-Gelb gewesen. Seine Demission könnte ein Signal für das Ende von Schwarz-Gelb sein.