Springe zum Inhalt

Das Wetter sollte schön werden, an diesem Donnerstag, und wir hatten beschlossen, nunmehr einfach dem Navi und eigenem Gutdünken nach in Richtung Avignon zu fahren. Das Frühstücksbuffet war schon etwas abgegrast, als wir kamen. Croissants waren aus, aber es gab einen Toaster, der im Dauerbetrieb lief, egal, ob gerade eine Brotscheibe drinnen war oder nicht. Die Herzspiralen glühten vor sich hin und dazwischen lief ein Kettenband, auf das man oben eine Toastscheibe, ein Stück Baguette oder Ähnliches legen konnte. Dann fuhr es langsam in den Apparat hinein und glitt eine Etage tiefer fertig geröstet auf einem Blech wieder heraus. Daneben dampfte ein Eierkocher kontinuierlich vor sich hin. Der Kaffeeautomat verspritzte sein Produkt von hoch über der Tasse, zum Teil natürlich daneben. Selbstbedienungs-Kaffeeautomaten sind ohnhin in aller Regel ein Gräuel. Und bei aller sonstigen kulinarischen Kunst bekommen wir in Frankreich überhaupt nur sehr selten wirklich guten Kaffee.

Praktisch war, dass wir unsere Fahrräder, die in einem winzigen Innenhof übernachtet hatten, morgens vor der Fenstertür unseres Zimmers beladen konnten, die direkt auf eine Seitenstraße führte. Zunächst fuhren wir zu Abteikirche, die am Vortag geschlossen gewesen war und warfen einen Blick hinein. Dann ließen wir uns wieder einmal von Leuten, die uns mit Baguettes entgegen kamen, zu einer Bäckerei führen. Das funktioniert recht zuverlässig, denn die langen Brote ragen aus jeder Tasche und viele brechen sich Stücke ab, um sie schon auf dem Heimweg zu genießen oder knabbern auch gleich direkt an dem frischen Backwerk.

Dann ging es hinaus aus der Stadt. Die ersten Kilometer leider an einer auch von großen LKW frequentierten Straße, was angesichts einer ausreichend breiten Seitenspur und meist rücksichtsvoller Trucker nicht wirklich gefährlich, aber doch auch nicht entspannungsfördernd ist. Später kamen Feldwege, die zwar ruhig, aber  dafür recht holperig waren. Wir sahen wieder die bekannten schwarzen Stiere der Camargue, weiße Pferde, einige Esel.

Einen großen Teil der Strecke fuhren wir schließlich auf guten kleinen Straßen, einen kleinen Teil auch auf offiziellen Radwegen, ein Stück kurz vor Avignon auch auf einem Weg, den wir vor einigen Tagen bereits in Gegenrichtung zurückgelegt hatten. Damals hatte der Südwind begonnen, der uns die Fahrt erschwerte, jetzt kam von Norden der Mistral und blies uns entgegen. So ist das mit dem Radfahren - sein Reiz ist die selbständige Fortbewegung in physischem Kontakt mit Landschaft und Wetter - und das ist bisweilen auch seine Beschwernis. Wer das nicht mag, muss es lassen.

Der Tag war sonnig und warm, die Landschaft bot wundervolle Ausblicke, mit der Zeit kam wieder der Mont Ventoux mit seiner felsig weißen Gipfelregion in den Blick. In einem aufgeräunt wirkenden kleinen Ort mit großen alten, jetzt noch kahlen Platanen gönnten wir uns einen Kaffee.

In Villeneuve-lez-Avignon, am Rhoneufer gegenüber der berühmten Stadt, hatten wir im O'Cub-Hotel gebucht, einem, wie sich erwies, schnörkellos praktischen Haus, in dem wir gut auch zwei Nächte hätten bleiben können. Vor dem Einchecken machten wir allerdings noch eine Runde durch die Altstadt und gönnten uns einen Pastis auf dem Platz vor einer Bar - den ersten Aperitif dieser Reise.

Zwischenzeitlich wurde uns bewusst, dass die nadelstichmäßigen Streiks, mit denen die französische Eisenbahnergewerkschaft gerade den Staatspräsidenten herausforderte, auch unsere Reisepläne betreffen könnten. So schön es gerade bei dem jetzigen Frühsommerwetter gewesen wäre, noch weiter durch die ergrünende Landschaft zu radeln, wäre es doch gut, Lyon zu erreichen, wenn noch Züge führen. So mussten wir wohl unsere Pläne den politischen Verhältnissen anpassen.

Zum Abendessen gingen wir nochmal an den Platz in der Altstadt, wo wir unseren Pastis genossen hatten und speisten dort in einem Lokal gut und recht preiswert. Auf dem Heimweg waren die Straßen leer und der Himmel sternenklar.

Heute haben wir uns zurückgeholt, was uns der Wind gestern abverlangt hatte und haben uns von ihm treiben lassen. Morgens waren wir noch etwas unentschlossen gewesen, ob wir noch einen weiteren Tag bleiben oder doch gleich wieder abreisen sollten. Aber es war weiterhin stürmisch und so war von einer Fahrt zum Strand, an die Plage Napoleon, nicht viel zu erwarten. Andererseits wollten wir noch etwas von der Camargue und vom Wasser sehen und so fuhren wir, teils auf einem "offiziellen" Radwanderweg, teils in freier Navigation, nach Nordwesten.

Der Weg verlief fast immer auf allgemeinen Straßen mit geringem Autoverkehr. Bald schon mussten wir die Rhone auf einer Fähre überqueren.

Der Wind blies uns kräftig voran, bis auf eine kurze Zeit am frühen Nachmittag war es auch immer wieder sonnig und angenehm warm. Wir fuhren durch typische Camargue-Landschaft, mit Kanälen und großen Wasserflächen, mit Salzwiesen und sumpfigem Gelände, mit schwarzen Stieren, weißen Pferden und weiß-rosafarbenen Flamingos.

Gelegentlich hielten wir zum Schauen und zum Fotografieren an, aber durch den günstigen Wind kamen wir schnell voran und waren schon am Nachmittag in Saint-Gilles. Unser Zimmer im Hotel Logis Le Cours war ebenerdig, mit einer Fenstertür zur Straße. Wir ruhten aus, machten uns frisch und liefen ein Wenig durch die Straßen. Die bekannte alte Abteikirche fanden wir an diesem Tag leider verschlossen vor, aber in den Gassen war es recht malerisch.

Zu Abend aßen wir im gut frequentierten Hotel-Restaurant. Mit Vergnügen verspeisten wir die drei ganzen Knoblauchzehen, die zu Friederikes Fischsuppe gereicht wurden. Ich hatte nochmal geschmorten Torreau, diesmal sehr viel besser zubereitet, als neulich in Arles. Dazu gemeinsam eine Flasche Rotwein, deren Rest wir wieder mit aufs Zimmer nahmen. Alles prima, nur der Kellner blödelte etwas zu viel herum.

Zwar waren Tanz und Musik in dem Lokal auf der anderen Seite des Platzes irgendwann zu Ende, aber schon im Morgengrauen kam die Putzkolonne mit Kehrmaschine und Laubbläser-Getöse und holte uns aus dem Schlaf. Später war der Platz Sammelstelle für die Müllbehälter, die zum Fest überall aufgestellt gewesen waren. Danach wurden die Tresen abgeholt, die vor den Lokalen aufgebaut gewesen waren und der Platz erhielt wieder seine normale gastronomische Bestuhlung. Alles das ließ uns immer wieder wach werden und verkürzte unseren Schlaf.

Nach dem Frühstück holten wir unsere Fahrräder die enge Kellertreppe herauf, behängten sie mit unseren Taschen und machten uns auf den Weg. Briefmarken, Bäckerei, Briefkasten. Dann schlängelten wir uns hinaus aus der Stadt. Ersten Halt machten wir bei der "Van-Gogh-Brücke", einem Nachbau der Brücke aus dem berühmten Gemälde des Künstlers.

Fast zwanzig Kilometer weit fuhren wir geradeaus auf einem recht neu angelegten Fahrradweg zwischen sumpfiger Naturlandschaft und landwirtschaftlichen Flächen, freuten uns über Blumen, Camargue-Pferde und schwarze Rinder. Nur ein sehr kräftiger Wind blies uns ständig entgegen. Stundenlang begegnete uns niemand. Langsam näherten wir uns fünfundzwanzig Windrädern, die in einer geraden Reihe nebeneinander standen. Dort bog unser Weg ab und das letzte lange Stück fuhren wir auf einer recht stark frequentierten Straße mit starkem, böigem Gegenwind, so dass wir manchmal Schwierigkeiten hatten, die Spur zu halten. So ging es bis zu unserem Hotel in Port-Saint-Louis, einem in die Jahre gekommenen Haus, das den Namen La Plage nicht ganz zu Recht trägt, denn der Badestrand ist noch einige Kilometer weit entfernt und entlang dem Ufer der hier mündenden Rhone gibt es durchgehend wellblech-umzäunte Areale, auf und zwischen denen sich der Müll häuft. Auf der anderen Straßenseite verheißen Werbetafeln an neu zu erschließendem Baugelände eine goldene Zukunft.

In Anbetracht dieser Umstände und des immer noch kräftigen Sturms blieb unser Abendspaziergang kurz. Wir verstauten unsere Räder und nahmen mit wenigen anderen Gästen im großen Restaurant des Hotels ein gutes Abendessen mit preisgünstigem Bio-Rotwein ein.

Die Nacht war absolut ruhig und wir haben gut geschlafen. Morgens ging es wieder drei Stockwerke die steile enge Treppe hinunter zum Frühstücksraum. Dort wurde es bald so voll, dass die Plätze nicht mehr reichten. Am Buffet und vor allem an der Kaffemaschine herrschte Gedränge. Zeitweise gingen später auch die Tassen aus.

Noch einmal hinauf die enge Treppe und dann mit vollem Gepäck wieder hinunter. Wir haben unseren Frühsport manchmal schon ehe wir aufs Rad steigen. Unser erster Weg führte zu dem kleinen Supermarkt in der Nebenstraße, um Proviant zu kaufen. Dann fuhren wir zum Papst-Palast, Friederike schrieb zwei Postkarten, ich schaute den Touristen zu. Dann ging es wieder über die Brücke hinaus aus dem Ort.

Bikeline schlug eine Wegvariante durch die Villenviertel am Berg vor, wir blieben lieber unten und nahmen die Nähe der Hauptstraße in Kauf. Die Strecke war etwas langweilig, der Sonnenschein, den uns der Wetterbericht versprochen hatte, blieb aus, dafür blies uns fast den ganzen Tag ein strammer Wind entgegen, der das Fahren anstrengend machte.

In Tarascon machten wir eine Runde durch die engen, ausgestorbenen Gassen und suchten einen netten Platz zur Brotzeit. Wir fanden eine Bank in einem Park mit Spielplatz und sahen drei Kindern zu, die abwechselnd mit einem kleinen Kinderfahrrad herumfuhren.

Noch ein Stück Hauptstraße, dann ging es lange im Zickzack über offene Felder, dem Südwind ausgesetzt. Schließlich kamen wir - wieder über eine lange Rhonebrücke - nach Arles. Schon von weitem hatten wir Jahrmarkttrubel gehört, die ganze Innenstadt war für den Verkehr gesperrt, es war Stadtfest mit Stierkampf in der Arena. Vor den Lokalen waren Ausschanktresen aufgebaut, auf der Place Voltaire vor unserem Hotel Le Belvedere wurde Paella gekocht.

-

Wir ruhten etwas aus und machten uns dann auf den Weg durch die Stadt. In der Arena war Stierkampf. Auf der Rückseite gabe es eine Stelle, wo man von der Straße aus durch eine schmale Lücke etwas von dem Geschehen beobachten konnte. Eine kleine Menschentraube hatte sich dort gebildet. Auf die toten Tiere wartete dort, unter der Tribüne, schon der Metzger. Wir sahen, wie ein toter Stier gebracht und zum Zerlegen aufgehängt wurde. Kühlfahrzeuge standen bereit. Nicht unser Geschmack.

Schlachtung unter der Tribüne

Die Straßen waren nur dort bevölkert, wo etwas geboten war. Fast alle Geschäfte waren geschlossen, nur Lokale hatten offen, die Wohnstraßen wirkten menschenleer.

Bei unserer Ankunft hatten wir uns gewundert, dass mitten auf einer großen Straße eine lange Gasse aus hohen kräftigen Metallgittern aufgebaut war. Nun erkannten wir den Sinn: In einer rasanten Show trieben Reiterinnen und Reiter auf verschwitzten weißen Pferden in Goucho-Manier schwarze Stiere und Kälber die Straße hinauf und hinunter. Kleine Kinder und Jugendliche drängten sich durch die Gitterstäbe der Zäune und nahmen zu Fuß an der wilden Jagd teil. Wir sahen der Tierquälerei eine Weile zu und gingen, als das Spektakel zu Ende war, in der Nähe essen.

Danach zog es uns ins Hotel, denn es war kühl und windig in den Gassen. Nur auf wenigen Plätzen herrschte noch Spektakel, zum Beispiel auf der Place Voltaire vor unserem Hotel. Da wurde bei einer Bar noch lange zu lauter Trivialmusik getanzt und gefeiert. Wir öffneten unseren Wein und sahen vom warmen Zimmer aus zu. Um Mitternacht wurde es ruhig.

Die Bettdecken im Hotel Du Centre in Pierrelatte waren etwas zu warm. Das Frühstück war gut und ausgiebig, der Saal gut besetzt, in der Ecke dudelte ein Fernsehapparat seichte Morgenmusik. Die restlichen feuchten Sachen vom vorletzten Tag waren nun auch getrocknet. Wir packten und machten uns auf den Weg zurück zur Via Rhona. In der Kirche auf dem Platz vor dem Hotel schien bald Ostergottesdienst zu sein, Gläubige strömten herbei, zwei Gendarmen wachten auf dem Platz, worauf und worüber auch immer. Von einer anderen Seite her kamen Leute über den Platz, die Baguettes mit sich führten und das wies uns den Weg zu einer geöffneten Bäckerei. Friederike kaufte eine Flute und, weil Ostern war, zwei Eclairs. Eine Banane und etwas Käse hatten wir noch. Das Wetter war freundlich.

Bis Pont Saint Esprit verlief der Weg eben im weiten Tal der Rhone. Dann endete die gut ausgebaute offizielle Strecke und anstelle der vorläufigen Fortsetzung empfahl der Bikeline-Führer eine eigene Variante. Die brachte uns in einigermaßen steilen Aufstiegen heraus aus dem Tal und zu den westlichen Höhenzügen. Das war, zumal angesichts der etwa 80 Tageskilometer, die wir uns vorgenommen hatten, etwas anstrengend, aber landschaftlich durchaus lohnend. Wir kamen in kargeres Land, mit Hartlaubgewächsen, steinigen Böden, aufragenden Felsen, dazwischen immer Weingärten und Obstplantagen. Die Rebstöcke standen kahl und zurechtgestutzt in Reih und Glied und sahen aus, als wären sie verdorrt, wo sie doch eigens ihres Saftes wegen gezüchtet und gezogen werden. Die Obstbäume waren auch hier in erster Blüte. Die Landschaft erinnerte uns sehr an frühere Reisen in dieser Region, an die wir gerne zurückdenken.

Hoch über dem Tal der Ceze, am Rande eines steilen Absturzes, machten wir Rast und genossen die Eclairs aus Brandteig und süßer Füllung. Es ging noch einige Stunden auf und ab durchs bergige Land, dann näherten wir uns wieder dem Tal und der Rhone, überquerten den Fluss auf einer langen Brücke und sahen schon den Papstpalast von Avignon in der Ferne. Als wir schließlich über die Daladier-Brücke in die Stadt fuhren, boten sich uns der Palast und die berühmte alte Brückenhälfte vor blauem Himmel im schönsten Spätnachmittagslicht dar.

Wir schwelgten eine Weile und fuhren dann hinein nach Avignon und zum Hotel Central an der Hauptachse der Stadt, der Rue de la Republique. Unsere Fahrräder fanden am Ende einer schmalen Furt zwischen zwei Häusern Unterstand, wir selbst hatten unser kleines Zimmer am Ende einer engen Treppenflucht, drei nicht ganz mühelose Stockwerke höher.

Wir richteten uns ein und ruhten etwas aus, dann war es bereits Zeit zum Essen. Die Frau am Empfang hatte uns eine Straße und auch ein spezielles Lokal empfohlen. Dort war es voll, das Essen war nicht ganz so gut, wie in den letzten Tagen und es dauerte ziemlich lange, bis die einzelnen Gänge unseres Menüs serviert wurden, aber insgesamt war es ganz in Ordnung. Auf dem Weg zum Essen hatten wir in einem kleinen Laden eine Flasche Cotes du Rhone erworben und mit der zogen wir schließlich zurück ins Hotel, zum Lesen, Schreiben und Schlafen.

Morgens lief das Wasser innen am Fenster herunter und die Luft war gesättigt von der Feuchtigkeit, die unsere Sachen über Nacht abgegeben hatten. So richtig trocken war vieles dabei aber doch noch nicht geworden. Zum Frühstück gab es Baguette, getoastete Baguettehälften, Croissants, ein Becherlein Obstmus und Cornflakes, alles etwas lieblos angerichtet. Um kalte Milch zu den Cornflakes musste man bitten, ein großer Löffel dazu war nicht dabei, zu je einer Kanne Kaffe und Tee insgesamt zwei Portionstütchen Zucker - das wirkte auf seltsame Art geizig. Aber das Wetter war sonnig und sollte für uns auch den Tag über trocken bleiben.

Wir kauften Obst zum Proviant und führen hinaus aus der Stadt. An diesem Tag gab es fast durchgehend gute Radwege in schöner Flusslandschaft. Und so schön hergerichtet und mit einem Windrad und einem spielenden Kind verziert, kann doch auch ein Atomkraftwerk mit vier Reaktorblöcken, wie das in Cruas, nicht gefährlich sein, oder? Irgendwo muss der Strom für die Elektroheizungen in unseren Hotels ja herkommen.

Das war aber auch, abgesehen von fernen Steinbrüchen und Staustufen im Fluss, die einzige Industrieanlage, die uns lange Zeit begegnete. Sonst Dörfer, kleine Städt, Burgen und die Flussaue.

Immer wieder mussten wir hin und her über verschiedene Arme des Flusses und die Brücken waren zum Teil recht interessant:

Das Wasser im Fluss stand nach den Regengüssen des vergangenen Tages ziemlich hoch, und als wir schon etwa zehn Kilometer vor unserem Tagesziel zu sein glaubten, war der Weg an einer Stelle so tief überschwemmt, dass wir fünf Kilometer zurück fahren und uns eine andere Route suchen mussten. So konnten wir uns doppelt an den Blüten am Wegrand erfreuen.

In der Ferne begann wieder kräftiges Donnergrollen, ringsum sahen wir dunkle Wolken und Regenschleier, bei uns blieb es trocken. Die noch kahlen Obstbäume boten vor dem Gewitterhimmel ein bizarres Bild, unter ihnen sah es nach dem Gebrauch von Rundum-Herbiziden aus.

Ohne nass geworden zu sein erreichten wir unser Ziel, Pierrelatte. Im Hotel du Centre breiteten wir unsere noch immer leicht feuchten Sachen zur Trocknung aus, entspannten eine Weile und machten dann eine Runde durch den Ort. Es ist immer wieder verstörend, was die Franzosen mit ihren Platanen anstellen - und dass sich diese das, den Stamm oft eng von Asphalt oder Beton umgossen, immer aufs neue gefallen lassen.

In einem modern eingerichteten Lokal bekamen wir ein interessantes Abendessen und leisteten uns in Gedanken an die Schweizer vom Vortag eine Flasche recht guten Weines. Als wir wieder zum Hotel zurückkamen, strömten die ersten Gläubigen in die Kirche zur Karsamstags-Liturgie.

Der Tag begann mit einem üppigen Frühstück und das erste Wegstück fuhren wir recht angenehm dahin. Auf diesem Streckenabschnitt gibt es ordentliche Radwege, manchmal etwas umständlich in der Routenführung, um auch ja dem Autoverkehr aus dem Weg zu gehen, aber ohne unnötige Schranken und Hindernisse.

Das Wetter war passabel, aber nach einiger Zeit begann es zu regnen und schließlich gerieten wir in ein heftiges Gewitter. Schon einigermaßen durchfeuchtet retteten wir uns unter das Dächlein eines mannshohen Insektenhotels, das an einer Infostation zum Thema Bienen aufgestellt und zum Glück unbewohnt war. Der Wetterbericht zeigte fortdauernde Gewitter in unserem Abschnitt des Rhonetals an und so entschlossen wir uns schließlich nach längerem Ausharren zur Weiterfahrt. In einem Ort vor Valence nahmen wir Zuflucht in einer Bar, wo zwischen Automaten und Fernsehbildschirmen Pferdewetten gezockt wurden und wärmten uns bei heißem Tee. Wirtin und Gäste nahmen Anteil an unserem Los, wussten aber auch nichts besseres vorherzusagen, als wir schon wussten: Der Regen würde noch den ganzen Tag anhalten. Also zogen wir unsere Regenkleider an und fuhren weiter.

Etwa zehn Kilometer vor unserem Tagesziel kam uns ein Schweizer entgegen und bat uns um Hilfe, denn seine Frau habe ein Stück weiter eine Panne und sie hätten einen falschen Ersatzschlauch bekommen. Wir warteten also im Schutz einer Brücke, bis sie das bereits zerlegte Rad herangeschafft hatten und begannen gemeinsam mit der Reparatur. Der Reifen war 27 Zoll groß, also passten auch unsere Ersatzschläuche nicht und wir entschlossen uns, zu flicken. Dazu fehlte den beiden Knowhow und Ausrüstung und so waren sie sehr froh um unsere Hilfe, auch beim Wiedereinbau des Hinterrades. Am Ende ließen sie es sich nicht nehmen, uns zum Dank Geld für eine sehr gute Flasche Wein zu geben.

Schließlich erreichten wir unsere sehr schlichte Herberge Les Alizes, zogen die klammen Kleider aus und behängten alles, was sich annähernd eignete, mit unseren nassen Sachen.

Das Abendessen war sättigend aber gänzlich unkulinarisch, aber wir waren froh, im Trockenen zu sein.

Beim Frühstück machten wir die Bekanntschaft eines älteren Paares aus Belgien, das mit dem Auto unterwegs war. Er sprach recht gut Deutsch, weil er bei Bosch gearbeitet hatte, aber er klagte, dass das Erlernen fremder Sprachen unnötig viel Anstrengung benötige und wünschte sich eine gemeinsame europäische Sprache (die man allerdings dann auch erlernen müsste, es sei denn, es wäre die eigene).

Heute ging es über weite Strecken auf ruhigen Wegen durch die Flusslanschaft, die aber auch immer wieder auch durch Industrie und Verkehr geprägt ist. Die großen Anlagen, mit dampfenden und rauchenden Schloten befanden sich zum Glück ebenso am anderen Ufer, wie dieses Kernkraftwerk.

Es gab aber auch Abschnitte, die echt naturnah waren, wo Vogelkundler mit Fernglas und Kameraausrüstung auf der Lauer lagen. Es gab Rastplätze am Rande des Radwegs, und Bänke aus Recycling-Kunststoff, wo wir mit Blick über die Rhone Pause machen konnten.

Dann kamen wir durch Gegenden, wo ringsum Obstplantagen waren. An den Berghängen und später auch in der Flussebene tauchten erste Weingärten auf. Frühlingsarbeiten waren im Gang, wie das Herrichten der Bewässerungsanlagen und das Beschneiden der Pflanzen. In manchen Obstplantagen standen Bienenstöcke, in anderen fuhren Traktoren, die mit Gebläsen chemisch riechende Mittel ausbrachten, dass die zarten Obsbaumblüten herumwirbelten wir verspäteter Schnee.

Etwas abseits von der Via Rhona fanden wir unsere gebuchte Unterkunft, Escale Sauint-Joseph, eine Lokalität, die hauptsächlich für große Feste gedacht zu sein schien, denn es gab einen riesigen kahlen Saal und eine Anzahl kleiner Zimmer mit weniger Komfort, als man in einem Neubau erwartet hätte. Der Empfang durch einen einzelnen Mann, der für alles zuständig schien, war freundlich, das Bett war in Ordnung und die Toilette war vom Bad getrennt, aber es mangelte an Sitzgelegenheiten, Aufbewahrungsmöglichkeiten und vor allem an Steckdosen zum Laden der elektronischen Geräte, die heute wohl fast jeder mit sich führt. Wir steckten den Fernseher aus und benutzen den schlauen Euro-Mehrfachstecker, den ich extra vor dieser Reise besorgt hatte.

Ein kurzes Wegstück zurück hatten wir bei der Anreise ein Restaurant "Aux Sablettes" gesehen und dorthin fuhren wir zum Abendessen. Ein nicht mehr ganz junges Paar kochte und servierte dort traditionelle örtliche Kost vom Feinsten und wir waren äußerst zufrieden.

Die Nacht war unruhig. Friederike kochte heißen Tee, bereitete mir eine heiße Sigg-Wärmeflasche, ich war immer unterwegs zwischen Bett und Toilette. Morgens war es etwas besser. Wir frühstückten im nahen Café, ich beschränkte mich auf Tee und ein trockenes Croissant. Erstaunlich, wie unbefangen hier mit Plastik umgegangen wird. Sind einmal die Tassen aus Porzellan, dann ist der Löffel zum Umrühren aus Kunststoff. Wir packten, versteckten den Schlüssel wieder in der Codebox an der Tür und fuhren los. In einer Apotheke besorgte ich mir vorsichtshalber Loperamid und nahm davon ein.

Wie bei fast allen großen Städten war die Ausfahrt auch hier in Lyon langwierig und unangenehm, mit viel Autoverkehr, Gewerbebauten und öden Vorstädten. Es hätte eine ruhigere Wegvariante gegeben, aber die hätte zwei kräftige Aufstiege beinhaltet, die ich mir an diesem Tag nicht zumuten wollte. Mit der Zeit wurde es dann ländlicher und ruhiger. Wir machten Pause auf den Bänken eines Kinderspielplatzes. Der weitere Weg war gut ausgebaut und angenehm zu fahren, bis auf häufige, raffiniert konstruierte Umlaufsperren, die immer zu eng für unsere bepackten Fahrräder waren. Sogar Leute mit Kinderwagen hatten da ihre Schwierigkeiten.

In Condrieu hatten wir uns eine nette Gite de France ausgesucht, La Bastide des Baies Dorées. Der Park, den wir auf dem Foto gesehen hatten, war zwar leider zum Bauplatz für zwei große Häuser geworden, aber wir hatten ein nettes Zimmer und eine freundliche Gastgeberin und fühlten uns wohl. Zum Abendessen mussten wir auf die andere Seite der Rhone in ein für unsere Verhältnisse etwas zu teures Restaurant. Das Essen war auch diesmal sehr gut und hätte man das viele Kellnergerenne und einige eher lästige Rituale weggelassen, dann hätte auch der Preis passabel sein können.

Lyon im Nieselregen. Wir frühstückten in einem netten kleinen Cafe ganz in der Nähe unserer Unterkunft und machten uns dann auf zu der viertürmigen Basilika Notre Dame der Fourvière. Die liegt hoch über der Stadt und ein großes Stück weit mussten wir unsere Räder schieben, um hinauf zu gelangen.

Das Areal um die Kirche war bevölkert von Schulklassen, eine Statue von Johannes-Paul II deute darauf hin, dass auch der Pole einmal hierher gepilgert war. Unterhalb der prunkvollen Basilika mit Mosaiken und Cherubim gab es noch eine Unterkirche, in der Nachbildungen berühmter Madonnenstatuen aus aller Welt aufgestellt waren.

Wir gönnten uns einen kleinen Imbiss im Wallfahrer-Cafe und fuhren dann wieder in weitem Bogen hinunter in die Altstadt. Angelockt von enthusiastischen Beschreibungen der dortigen Videoinstallationen fuhren wir zu dem 1,7 km langen Bus- und Fahrradtunnel Croix Rousse, aber für uns gab es nur die blanken Tunnelwände. Das war schon eindrucksvoll genug.

Wir radelten noch durch einen Park, durch den Zoo vorbei am Botanischen Garten, dann zurAltstadt und schließlich waren unsere Kleider nass vom Regen, wir froren. Wir setzten uns in ein altes Café, tranken heißen Kräutertee, beobachteten die Leute, die kamen und gingen und fuhren schließlich wieder zu der Straße, wo wir am Vorabend gegessen hatten. Heute hieß das Lokal La Traboulerie. Das Essen schmeckte ganz gut und ob es von da kam, oder vom Vortag, oder von irgendwo anders, ist schwer zu sagen - ich bekam jedenfalls Darmbeschwerden, die mich noch die ganze Nacht auf Trab halten sollten.