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Richtig schade, das Zimmer im Hotel Stephan wieder verlassen zu müssen. Am Abend war es noch so richtig gemütlich geworden. Zwei Sofas, ein Sekretär mit herabklappbarer Schreibplatte, auf der Netbook und Zubehör bequem Platz fanden, und dem ein Hauch von Geräuchertem entströmte, das vielleicht einmal ein Gast darin gelagert hatte. Womöglich ein Räucheraal vom Fischmarkt? Die gemütliche, aber ausreichend helle Beleuchtung vom Rosenranken-Kronleuchter und einer Stehlampe. Sehr stilvoll und mit dem Hauch von Patina, die so ein Ambiente erst vollkommen macht. Wir sahen uns die Fotos des Tages an und guckten ein wenig fern.

Morgens wurde flott gepackt. Wenn alle Wäsche einheitlich gebraucht ist, lassen sich die Fahrradtaschen am leichtesten gleichmäßig füllen. Wir bezahlten die sehr akzeptablen 83 Euro pro Nacht und holten unsere Räder, die diese Nacht sehr bequem erreichbar auf der Terrasse hinter dem Haus verbracht hatten. Allerdings schien die Fahrt durch diverse hamburger Glasscherbenviertel am Vortag nicht ganz folgenlos geblieben zu sein. Friederike klagte bald nach dem Losfahren über wenig Luft im Hinterrad. Hundert Stöße mit der winzigkleinen Fahrradpumpe, dann war mir trotz des kühlen Wetters ordentlich warm und wir versuchten, schnell zum Bahnhof zu gelangen, so lange die Reifenfüllung reichte. Trotz Stoßverkehrs und baustellenbedingter Umleitungen klappte das einigermaßen und wir frühstückten in einem Bahnhofsimbiss. Dann ging es mit Aufzügen bequem zum Bahnsteig und schon kam der Zug, so dass wir genügend Zeit hatten, die reservierten Plätze für uns und unsere Fahrräder zu suchen. So unkompliziert kann Zugfahren mit Fahrradmitnahme auch sein: vorgebuchte Plätze für Mensch und Rad im Intercity mit nur einmal umsteigen in Stuttgart. Das ging nicht ganz ohne kleine Verwirrung durch Verspätungen und Bahnsteigwechsel, aber am Ende kamen wir wohlbehalten zu Hause an.

Reiseroute Elberadweg 2011Gesamt-Kilometer: 770

Das Hotel soll, so war im Internet zu lesen und vom Portier zu hören, früher einmal eine Entbindungsklinik gewesen sein. Nicht gerade wie neu geboren, aber doch gut erholt vom Schlaf in den bequemen, weichen, aber nicht zu weichen Betten brachten wir unsere Räder aus dem verwinkelten Keller die gebogene Treppe herauf, den schmalen Gang an der Rezeption vorbei ohne an das Tischchen mit den Prospekten zu stoßen, die Stufen zur Tür hinunter und hinaus auf die Straße.

Museumshafen ÖvelgönneEin paar Ecken weiter fanden wir ein kleines Café zum Frühstücken, dann machten wir uns auf den Weg nach Blankenese. An der Elbe sahen wir kleine Boote und riesige Containerschiffe und wurden ständig begleitet vom Geräusch großer Dieselmotoren. An der Flugwerft von Airbus hörten wir Triebwerkslärm und sahen bei der Rückfahrt einen der seltsam geformten "Belugas" starten und landen, mit denen Flugzeugteile zwischen den verschiedenen Standorten des europäischen Gemeinschaftsunternehmens transportiert werden. Es roch nach Kerosin. Einige Male zogen kräftige Regenschauer durch, die wir schon von weitem kommen sahen. In Blankenese weiße Badeort-Villen, stellenweise auch Strand, aber hier am Unterlauf des Flusses würde ich auch bei warmem Wetter nicht schwimmen wollen. Spaziergänger, Radfahrerinnen mit großen Hunden. Tafeln, die den Pegel der letzten Jahrhunderthochwasser anzeigten, Arbeiter, die die Uferbefstigungen ausbesserten. Idiotische Schilder "Vernünftige Radfahrer fahren hier nicht, den anderen ist es verboten". Geht's noch?

ContainerrieseAuf dem Rückweg stiegen wir in strömendem Regen bei Teufelsbrück auf die Hafenfähre hinüber nach Finkenwerder, von da mit einer zweiten Fähre hinauf bis nach Sandhöft. Da war der Regen dann wieder vorbei und wir streiften noch etwas durch die Stadt. Mit Fahrrädern ist das sehr bequem. Rathausplatz, Reeperbahn, Jungfernstieg, Bismarckdenkmal, kreuz und quer, wie es gerade kam. Bei einem Penny-Markt in St. Pauli kauften wir Proviant für die lange Eisenbahnfahrt nach Hause. Friederike hatte vormittags auf am Fischereihafen einige Restaurants gesehen, die ihr im Vorbeifahren lohnend erschienen waren, also radelten wir nochmal hinaus, fanden aber nichts, das uns wirklich überzeugt hätte und landeten so wieder im Fischerhaus, wo es uns tags zuvor ja recht gut gefallen hatte. Der Tag endete mit einem gemütlichen Abend in unserem komfortablen Hotelzimmer.

Ein Wenig zu teuer war das Zimmer im Hotel zur Rennbahn in Stove ja schon, verglichen mit anderen Unterkünften auf dieser Reise. Nicht dass irgendetwas nicht in Ordnung gewesen wäre, aber die Beleuchtung im Zimmer war duster und die Dusche über der Badewanne original Siebziger Jahre. In den Betten allerdings haben wir gut geschlafen. Nach dem Frühstück begann die letzte Etappe dieser Tour. An der Elbe entlang ging es in Richtung Drage und schon bald mussten wir unsere Regencapes herausholen, wie noch mehrmals an diesem Tag. Herbstlich kühl war es auch.

Über Laßrönne ging es nach Stöckte, wo wir die Wartezeit auf die Fähre zum Einkauf in einem kleinen Supermarkt nutzten, in dem zwei ältere Frauen ein bemerkenswert übersichtliches Sortiment verwalteten. Schon unterwegs hatten wir am Wegesrand je eine  Tüte Äpfel und Zwetschgen für zusammen zwei Euro erstanden. Dass Privatleute die Früchte ihres Gartens zur Selbstbedienung am Wegrand anbieten, ganz schlicht mit Preiszettel und Geldkassette, haben wir immer wieder auf dieser Reise angetroffen.

Die Motorfähre, mit der wir nun ein letztes Mal übersetzten, war bedeutend größer als die bisherigen. Rechts der Elbe entfernten wir uns zunächst vom Fluss und fuhren dann über viele Kilometer schnurgerade auf dem Damm der ehemaligen Marschbahn entlang. Die ganze Strecke verläuft zwischen Bäumen und Sträuchern, was uns willkommenen Schutz vor dem teils recht böigen Wind bot. Erstaunlich der wild wachsende Hopfen, der sich stellenweise über die Sträucher gelegt hatte und sich an Bäumen emporrankte.

Hopfen am Marschbahndamm bei den Kirchfelder WiesenÜber Moorfleet, wo uns jetzt, zum Schluss unserer Tour, ein wirklich heftiger Regen ereilte, so dass Hosen und Schuhe nass wurden, kamen wir nach Kaltehofe und staunten über die alten Filterbecken für die Hamburger Wasserversorgung. Entlang der Norderelbe führte unser Weg dann in die Stadt, so dass wir mit Speicherstadt, St. Pauli, Landungsbrücken, Hafenstraße und Fischmarkt schon eine kleine Sightseeingtour gemacht hatten, ehe wir im Hotel ankamen. Erst wollte uns Garmin eine steile Treppe hinaufschicken, aber nach nochmaliger Ermahnung navigierte er uns ohne Rücksicht auf Einbahn- und andere Verkehrsregeln brav auf befahrbaren Wegen bis vor die Tür des Hotel Stephan, wo wir für nicht viel mehr als in Stove ein wirklich außerordentliches Zimmer bezogen.

Zimmer im Hotel StephanWir wechselten in trockene Kleider, aßen von unserem Proviant und radelten dann zum Bahnhof Altona, um etwas Bargeld nachzufassen, dann zu den Landungsbrücken, wo wir mit dem einem der altmodischen Aufzüge zum alten Elbtunnel hinunterfuhren und uns die Stadt von Steinwerder aus ansahen. Michel, Außenalster, Rathaus, mit den Rädern kamen wir recht schnell herum, der Verkehr war erträglich. Zum Schluss bekamen wir im Fischerhaus am St. Pauli Fischmarkt ein prima Abendessen.

Blick von Steinwerder

Rhabarberschorle hätte gute Chancen, unser Kultgetränk dieses Sommers zu werden, wenn nur das Wetter etwas mehr Lust auf einen erfrischenden Trank machen würde. Jedenfalls gab es im Haus Elbtalaue in Bleckede neben sonstigen Annehmlichkeiten auch einen Vorrat an preisgünstigen Getränken zur Selbstbedienung und der Rhabarbertrunk einer lokalen Mosterei hat es uns angetan. Das Frühstück war auch ganz nach Wunsch und zum Abschied bot der freundliche Wirt noch an, ein Erinnerungsfoto von uns zu machen. Hier ist es.

Erinnerungsfoto Haus Elbtalaue, Bleckede
Im Zentrum von Bleckede hatten wir schon am Vorabend einen Bio-Laden entdeckt, in dem wir jetzt Proviant einkauften, dann noch in einem Drogeriemarkt Batterien für das Navi und schließlich gab's noch Morgencappuccino bei einem italienischen Lokal. Dann waren wir bereit zur Weiterfahrt. Mal vom kräftigen und böigen Wind geschoben, mal gegen ihn antretend folgten wir den Schleifen der Elbe, meist unterhalb des Deiches, für kurze windige Stücke auch oben. Kurz vor Radegast wurde es duster, der Wind nahm zu und es begann, in großen Tropfen zu regnen. Jetzt eine Schutzhütte! Jawohl! Genau im richtigen Moment tauchte ein Unterstand auf, der, wie wir aus angeschlagenen Zeitungsartikeln lesen konnten, erst im Mai in einer "72-Stunden-Aktion" von der Landjugend Radegast erbaut worden war. Dankeschön auch, ECHT STORK!

Schutzhütte der Landjugend Radegast
Inmitten des Wolkenbruchs kam noch ein zweites Radlerpaar und gesellte sich zu uns. Wir tauschten Reiseerfahrungen aus und warteten gemeinsam, bis der Regen vorbei war. Dann ging es weiter durch die Elbtalaue. In Hohnstorf, gegenüber Lauenburg, machten wir im Windschutz eines Sportheims Brotzeitpause. Beim Fährhaus Tespe tranken wir Kaffee und schauten mit gemischten Gefühlen hinüber zum Kernkraftwerk Krümmel auf der anderen Seite der Elbe, das seit einer Reaktorschnellabschaltung anlässlich einer Störung am  4. Juli 2009 hoffentlich für immer vom Netz ist.

Atomkraftwerk Krümmel
Wie schon tags zuvor freuten wir uns bei der Weiterfahrt über die Schafe am Deich, über die kleinen Vögel, die sich bisweilen auf dem Rücken der weidenden Tiere niederlassen, und über die Schwalben, die auf der Jagd nach Insekten dicht über dem Boden dahinschossen und sich an der Deichkrone mit ausgebreiteten Flügeln vom Wind nach oben reissen ließen, um gleich im pfeilschnellen Flug wieder zurückzukehren. Oft keuzten sie bei ihren atemberaubenden Flugmanövern so knapp vor uns den Weg, dass wir instinktiv die Köpfe einzogen, um einem Zusammenstoß zu entgehen, aber sie sind ja sehr geschickte Flieger.

Deichschafe (Foto: Friederike Schmidhuber)Langsam wird die Nähe der Großstadt spürbar. Der Verkehr nimmt zu, die Ortschaften gehen ineinander über, die Besiedlung wird dichter, die bislang recht frei fließende Elbe ist stückweise verbaut und die Preise für Kaffees und Unterkunft steigen schon deutlich. Nachdem wir erst für übernächste Nacht in Hamburg gebucht haben, ließen wir es in Stove genug sein und mieteten uns im Hotel zur Rennbahn ein. Die Zimmer liegen nebeneinander entlang einer Veranda im Garten und es ist fast wie in einem Ferienhäuschen. Im Hotel-Restaurant waren wir schon um halb Neun die einzigen Gäste. Aber man servierte uns ein wirklich ausgezeichnetes Abendessen. Was fehlt, sind warme Socken zum Fleecepulli, denn es ist ungemütlich kühl geworden.

Morgens war es recht frisch, Adebar stand auf seinem Nest und unsere Gastgeberin hängte im Garten Bettwäsche zum Trocknen auf. Es sollte ein kühler, windiger, aber fast regenfreier Tag werden. Im Hotel Steinhagen gab es ein gutes Frühstücksbuffet, wie immer mit heißem Kräutertee. Dann packten wir wieder, holten unsere Räder aus der alten Schreinerei, wo sie zwischen Kreissäge und Bandsäge die Nacht verbracht hatten, behängten sie mit unseren Gepäcktaschen, steckten die Wasserflaschen in die Halterungen, ich schob die Landkarte auf der richtigen Seite aufgeschlagen in den Kartenhalter am Lenker und das Navi auf seine Halterung, hängte die Mütze an den Rückspiegel und los ging's, wie jeden Tag.

Fahrrad-Cockpit ;-)Teils auf der Deichkrone, teils unterhalb, im Windschatten des Deichs, fuhren wir weiter elbeabwärts. Nach etlichen Kilometern fand sich ein einladender Ort für den Morgenkaffee. Jetzt, kurz vor Mittag saß bei den Elbterrassen in Wussegel noch niemand draußen im Garten, aber die Sonne schien, der Ort war windgeschützt und so nahmen wir Platz. Das Speiselokal drinnen war an diesem Sonntag um halb Zwölf bereits gut gefüllt mit Rentnerinnen und Rentnern, die beim Mittagessen saßen. Wir tranken ausgezeichneten Milchkaffee, dann fuhren wir weiter.

In Hitzacker herrschte Feststimmung. Die Ortsstraße war gesperrt, Imbissstände, Tische und Bänke waren aufgestellt, man aß und trank. "Hitzacker tischt auf" heißt dieses regelmäßige Ereignis, offenbar eine Art Leistungsschau der örtlichen Gastronomie. Eine andere Leistungsschau plant Hitzacker für den 17. September. Dann geht es darum, den Guiness-Weltrekord im Steckenpferd-Quadrillereiten zurückzuerobern.

Steckenpferd-Rekordversuch HitzackerWir radelten hinunter zur Elbfähre und setzten über. Das kleine Boot transportiert nur Fußgänger und Radfahrer und die Überfahrt war  mit 2,80 € pro Mensch mit Rad die bisher teuerste auf dieser Reise. Bei Banke bogen wir landeinwärts ab, denn die Stixer Wanderdüne lockte. Sie sei, so lasen wir, eine der wenigen "aktiven" Wanderdünen, die sich durch Windverfrachtung ihres Sandes verändern. An Ort und Stelle zeigte sich allerdings, dass die Besichtigung eine längere Fußwanderung erfordert hätte und so fuhren wir gleich wieder zurück an den Fluss.

Je nach Verlauf des Weges am Deich mussten wir teils kräftig gegen den Wind antreten, teils wurden wir wie im Flug vorangeblasen. Bei Popelau und Konau fanden wir zwei Museen, die sich mit dem Schicksal der Menschen in dieser Grenzregion nach der Deutschen Teilung beschäftigen.  Wer nicht zwangsweise abgesiedelt wurde, musste starke Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit erdulden.

Über Viehle und Stiepelse gelangten wir schließlich zur Anlegestelle der Fähre nach Bleckede. Wir waren zunächst etwas unschlüssig, ob wir die Elbseite wechseln sollten, reservierten dann aber telefonisch ein Zimmer im Haus Elbtalaue in Bleckede. Es liegt zwar etwas weiter vom Ortszentrum, als wir erwartet hätten, ist aber sehr freundlich und hält zahlreiches Informationsmaterial für die Gäste bereit, was ich immer sehr schätze. Auf Empfehlung des Wirts radelten wir abends noch einmal in den Ort zum "Alten Zollhaus", wo wir vorzüglich und preiswert zu abend aßen.

Nach der gestrigen Hitze heute ein kühler Regentag. Wir bekamen ein gutes Frühstück, konnten aber mangels Laden keinen Proviant einkaufen. Bald schon brauchten wir unsere Capes, denn es regnete schwach aber anhaltend.

"Biosphärenreservat Niedersächsische Elbaue" nennt sich die Gegend. Wir ließen den Gartower See aus und fuhren direkt an der Elbe entlang. Nach einigen Kilometern schwenkte der Weg von der Elbe ab und dann ging es auf steiniger Straße so steil bergan, dass wir teilweise schieben mussten. Wir erklommen den Höhbeck, einen Höhenrücken, der sich hier ein ganzes Stück weit im Elbtal erhebt. Oben gab es einen Aussichtsturm und den sehr netten Kaffeegarten Schwedenschanze, wo wir uns für eine Weile niederließen.

Gestern, in der Gegend von Havelberg, hatten wir vor einigen Häusern große rote X-Kreuze aus Holzlatten gesehen und eine Weile darüber gerätselt, bis wir erfuhren, dass die Menschen damit ihre Ablehnung gegen ein Kohlekraftwerk und eine Anlage zur CO-Verpressung in der Altmark zum Ausdruck bringen. Hier, im Wendland, wo gelbe Kreuze in der gleichen Art den Protest gegen weitere Castor-Lieferungen nach Gorleben ausdrücken, fanden wir neben reichlich Infomaterial zu Gorleben auch eine Unterschriftenliste aus der Altmark. Die Wirtin des Kaffegartens erzählte eine Weile über das Leben in der Gegend, die immer menschenleerer werde. Hätten vor der Wiedervereinigung noch Westberliner das Wendland als nahen westdeutschen Freizeit-Stützpunkt genutzt, seien auch sie nach der Wende weggeblieben.

Der Weg hinunter vom Höhbeck nach Vietze war weniger steil und gut befahrbar. Über Meetschow kamen wir nach Gorleben, das ebenso menschenleer und harmlos dalag, wie viele andere Orte in der Gegend und bis auf einige gelbe Kreuze nichts von der Stimmung des Protestes und Aufruhrs an sich hatte, die man im ganzen Land mit diesem Namen verbindet. Wir fuhren südwärts in den Gorlebener Forst, wo sich mitten im lichten Kiefernwald das Brennelemente-Zwischenlager und die Anlagen für die sogenannte Erkundung des Salzstocks als Endlager befinden. Im Zwischenlager landen die umkämpften Castor-Behälter für 30-40 Jahre. Erst dann ist der in ihnen enthaltene Atommüll so weit abgekühlt und abgeklungen, dass er zur Endlagerung konfektioniert werden könnte. Das Verfahren dazu soll in einem Bauwerk neben dem Lager, der sogenannten Pilotkonditionierungsanlage, entwickelt werden. Erst am Ende könnte der Müll in kleineren Behältern endgelagert werden, aber ein Endlager gibt es bislang noch nicht. Die Nutzung der Kernkraft ist also, wie es ein Flugblatt im Kaffeegarten zutreffend beschrieb, ein Flug ohne Landebahn. Niemand weiß noch, was am Ende mit dem Atommüll geschehen wird. Die nächsten drei bis vier Jahrzehnte jedenfalls wird der Müll in den Castoren erst einmal oberirdisch in einer Halle im Gorlebener Forst stehen und abklingen. Gerade in diesen Tagen wird Strahlung nahe dem gesetzlichen Grenzwert gemessen. Kein Wunder, dass sich die Menschen im Wendland wehren.

Protestlager im Wald bei GorlebenWir hatten gelesen, dass ab Mitte August täglich Protestaktionen vor Ort stattfinden sollten, aber an diesem Tag waren wir völlig allein. Eine große Schutzhütte der Protestierenden bot uns Schutz vor dem Regen. Wir machten Brotzeit und lasen die Infos und Plakate an den Anschlagtafeln rund um die Hütte, dann suchten wir wieder den Weg an die Elbe, die wir bei Brandleben erreichten.

Ein Stück flussabwärts kamen wir zur Ruine der alten Eisenbahnbrücke bei Dömitz. 1873 fertiggestellt, erlangte sie nie die Verkehrsbedeutung, die ihr ursprünglich zugedacht war. Zu Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie teilweise zerstört und wegen der Teilung Deutschlands anschließend nicht wieder aufgebaut. Nur der "westdeutsche" Teil bis zur Elbe steht noch und führt ins Nirgendwo.

Eisenbahnbrücke bei DömitzEtwas weiter, in Damnatz lockte uns das Hotel Steinhagen gleich hinter dem Deich. Wir bekamen ein nettes Privatzimmer in einem Haus in der Nähe, eigentlich eine kleine Ferienwohnung im ersten Stock mit zwei Zimmern und einem Bad über den Flur, von dem aus man in der Abenddämmerung ein Storchenpaar am Nest beobachten konnte.

Störche am Nest

Wir verließen Frau Pabst und Sandau und fuhren nach Havelberg, wo wir in malerischer Umgebung frühstückten. Croissants oder dergleichen war nicht zu bekommen, also aßen wir zum Milchkaffee Quark-Aprikosen-Torte. Ein etwas ungewöhnlicher Start in den Tag, vielleicht auch ernährungstechnisch nicht besonders gesund, aber durchaus gut. Der Versuch, noch etwas mehr Proviant einzukaufen, führte uns in Schleifen durch den Ort. Immerhin fanden wir eine Bäckerei, aber die Versorgung mit Milchprodukten, Obst, Gemüse oder Keksen ist auf diesen Touren im Osten immer ein Problem, weil es Innerorts kaum kleine Läden des alltäglichen Bedarfs gibt. Als ich dieser Tage eine Buchhändlerin nach einem Lebensmittelladen fragte, war die Gegenfrage: "Meinen Sie einen Discounter?", und so sind die Verhältnisse in der Tat. In den Ortschaften gibt es kaum Geschäfte, etwas abgelegen und meist auch ab von unseren Wegen finden sich dann Aldi, Lidl, Netto und andere Ketten-Supermärkte.

Storch in Rühstädt (Foto Friederike Schmidhuber)Es folgte eines der schönsten Wegstücke dieser Reise. Dem Rat unserer letzten Wirtin folgend überquerten wir den Schleusenkanal zwischen Elbe und Havel und konnten so bis kurz vor Rühstädt durch die wunderbare Naturlandschaft zwischen den beiden Flüssen fahren. Wir genossen dir herrliche Gegend und ließen uns von dem meist recht kräftigen Rückenwind helfen. Rühstädt bezeichnet sich selbst als das storchenreichste Dorf Deutschlands. Tatsächlich wurden wir schon bei den ersten Häusern vom lauten Klappern eines Storchs begrüßt, der hoch oben auf seinem Nest saß. Überall gab es solche Nester und einer nach dem anderen erhoben sich die Störche und kreisten in großer Zahl über dem Ort und den angrenzenden Auen.

Weiter an der Elbe entlang kamen wir schließlich nach Wittenberge. Zu der Stadt gibt es nicht viel zu sagen. Wir sahen einige leerstehende Backstein-Fabrikgebäude mit zerbrochenen Fenstern. Am Ortsrand, am Elbufer, gönnten wir uns gegen den Durst des heißen Tages große Apfelsaftschorlen und überstanden so einen kurzen Regenguss im Schutz der großen Sonnenschirme eines Cafés. Abkühlung brachte der Regen nicht. Es blieb heiß und Rückenwind macht zwar schnell, aber er kühlt nicht besonders gut und so suchten wir im weiteren Verlauf immer wieder den Schatten.

FlusslandschaftHeute fuhren wir viel auf den Deichkronen, die Wege waren teils sandig, teils mit großen und kleinen Betonsteinen oder -platten eben gepflastert. Nur an Deichquerungen und vor allem in Ortsdurchfahrten gab es auch hier, wie auf der ganzen bisherigen Tour, Kopfsteinpflaster, das den Radler ziemlich durchschüttelt. Wir haben bis jetzt nicht verstanden, warum man hier ausgerechnet im Siedlungsbereich diesen unebenen, unbequemen und lauten Straßenbelag wählt. An einem Überschuss an Granit kann es in dieser sandigen Gegend nicht liegen.

Hafencafe  Felicitas, SchnackenburgAm Nachmittag erreichten wir schließlich mit einer kleinen Motorfähre das malerische Örtchen Schnackenburg. Wir haben inzwischen eine Tagesetappe Vorsprung gegenüber dem Tourplan und so beendeten wir hier die Fahrt dieses äußerst heißen Tages. Das Hafencafé Felicitas hat große, freundliche Zimmer und angenehme Betten. Wir duschten und liefen dann nochmal hinaus. Der Ort liegt in Niedersachsen, direkt an der ehemaligen DDR und ein Museum dokumentiert die Merkwürdigkeiten und Schrecken dieses ehemaligen Grenzgebietes. Im wunderbaren Spätnachmittagslicht liefen wir nochmal hinaus auf den Deich an der Elbe und sahen der emsigen kleinen Fähre zu, mit der wir gekommen waren. Dann wanderten wir noch etwas durch den Ort und schließlich aßen wir bei "Felicitas" angenehm zu abend.

Wir verließen das komfortable Feriendorf Bertingen bei trockenem Wetter. Nach einer Weile erreichten wir die Gegend, wo die nächtlichen Gewitter am stärktsten gewütet hatten, die bei uns nur von Ferne zu hören waren. Alte Bäume lagen entwurzelt, von anderen waren große Äste abgerissen, überall hörte man die Motorsägen der Räumtrupps und die Ränder der Obstbaumalleen waren übersät mit Äpfeln, die das Unwetter heruntergeschüttelt hatte.

DeichschafeWir fuhren über Ringfurth und Sandfurth nach Grieben, kürzten bei Buch den Weg ab und trafen am Elbdeich eine Schafherde mit Lämmern und zwei Ziegen. Weiter durch die Aulandschaft der Altmark gelangten wir schließlich nach Tangermünde. Der Ort ist mit seinen Backstein- und Fachwerkhäusern so wunderbar malerisch, dass wir uns kaum losreißen konnten. Wir beschlossen, den im Reiseführer vorgeschlagenen Abstecher nach Stendal auszulassen und fuhren entlang der Hauptstraße weiter. Nach einem Stück durch unschönes Gewerbegebiet ging es wieder an der Elbe in Richtung Arnau. Waren wir in den letzten Tagen in einer schier endlos weiten Ebene gefahren, wurde es hier etwas hügelig und die Elbe floss in einem engeren und etwas tiefer eingeschnittenen Tal.

TangermündeVon Arnau aus versuchten wir, telefonisch ein Quartier in Hohenberg-Krusemark zu bekommen, aber  wir erreichten niemanden und der Wirt eines Cafés, in dem wir Rast machten, warnte uns, dass wir dort zwar vielleicht eine Unterkunft, aber kein Abendessen finden würden. So navigierten wir auf direktem Weg nach Dalchau und durch ein neu erschlossenes Gewerbegebiet weiter in Richtung Rosenhof. Eine Fähre brachte uns schließlich nach Sandau, das wir schön im Abendlicht liegen sahen. Nach einigem Fragen fanden wir ein Privatzimmer über einem alten Friseursalon und mieteten uns ein. Die Wirtin ist freundlich, das Zimmer und das Bad gegenüber am Flur sind ordentlich, sogar ein Wohnzimmer steht uns zur Verfügung und alles ist voll mit den erstaunlichsten Nippes, Plüschtieren und allen Arten kitschiger Dekoration.

Ein nicht weiter erwähnenswertes Abendessen gab es bei einem Gasthof in einiger Entfernung. Das Lokal sah bei unserer Ankunft so unbelebt aus, dass wir schon fürchteten, unseren Keksvorrat zu Abend essen zu müssen. Ein Gast verabschiedete sich gerade, als wir um acht Uhr kamen. Ganz offenbar waren wir die letzten Gäste und die Wirtsleute schienen auch nicht mehr mit Kundschaft zu rechnen. Als wir wieder gingen, war das Wirtshausschild noch immer ohne Beleuchtung. Am Rückweg waren wir ganz alleine auf der Straße. Nahe dem Gasthof lag der bereits weitgehend skelettierte Kadaver einer überfahrenen Katze auf dem Trottoir, ganz als käme hier wochenlang niemand vorbei.

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Der Hahn in Pretzien war schon etwas heiser, aber er hat uns dennoch zuverlässig geweckt. Auch die Gänse hinter dem Nachbarhaus waren schon bald munter. Aber der Himmel war tiefgrau und der Wetterbericht wusste von durchziehenden Gewittern den ganzen Tag. Wir nahmen unser Frühstück ein, verpackten alles regendicht, beluden unsere Fahrräder und verließen die nette Pension Am Storchennest. Der Himmel blieb trocken. Zunächst galt unsere Neugier dem Pretziener Wehr. Auf Schautafeln lernten wir einiges über seine Geschichte, seine Funktionsweise und die Hochwasserableitung, zu der es dient. Eigentlich ist die ganze Landschaft, durch die wir seit Tagen radeln, bestimmt durch  den Hochwasserschutz entlang der durch das Schwemmland mäandernden Elbe. Meist fahren wir auf oder entlang von Deichen, auf der einen Seite Überflutungsgebiet, auf der anderen Land, das vor Überflutung geschützt werden soll. Das Wehr war geschlossen und so konnten wir in seinem Schutz das Bett der "Alten Elbe" durchfahren, der wir dann in einem weiten Bogen folgten. Wir kamen nach Ranies und Grünewalde, fuhren mal ganz nah an der Elbe, mal weit entfernt in den Auen und gelangten so schließlich nach Magdeburg.

MagdeburgDas Entrée war prächtig. Nachdem wir die Elbe mit Blick auf den Dom überquert hatten, fuhren wir zwischen bestens hergerichteten Häusern der Gründerzeit in die Stadt. Am Sitz des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt war allerdings Schluss, denn schwerbewaffnete Polizei belagerte die Straße und wir wurden aufgefordert, die Straßenseite zu wechseln. Von Schaulustigen erfuhren wir, dass die Bundeskanzlerin gerade in der Stadt sei. Auch der Dom war weiträumig abgeriegelt, ein Besuch an diesem Tag nicht möglich, wie uns eine Polizistin beschied. Angela Merkel sollte im Dom den Kaiser-Otto-Preis für ihre Verdienste um die europäische Einigung mit Blick auf Osteuropa erhalten. Und wenn die Kanzlerin einer demokratisch verfassten Republik in einem Gotteshaus unter dem Namen eines mittelalterlichen Kaisers geehrt wird, kann das Volk schon einmal für einen Tag draußen bleiben. Magdeburg kann nichts dafür, aber wir waren verärgert. Bei der Grünen Zitadelle, einem Hundertwasser-Bau, setzten wir uns noch in ein Café, dann überquerten wir wieder die Elbe und verließen die polizeibelagerte Stadt.

Grüne Zitadelle (Hundertwasser-Haus) MagdeburgBei weiterhin trockenem und inzwischen ziemlich heißem Wetter ging es weiter durch die Flusslandschaft des Biosphärenreservats Mittelelbe. Bei Hohenwarthe sahen wir das Wasserstraßenkreuz Magdeburg, wo eine Trogbrücke hoch über der Elbe die Verbindung zwischen dem Mittellandkanal und dem Elbe-Havel-Kanal bildet. Wir fuhren eine Weile am oberen Kanal entlang und verließen ihn wieder an einer riesigen Schleuse, in der die Schiffe bis zu 19 Meter hoch gehoben werden. Bei Rogätz nahmen wir die Fähre, etwas flußabwärts begann eine Seenlandschaft von Altwassern, gesäumt von Kiefernwald und nach einigen Kilometern erreichten wir das Feriendorf Bertingen, wo wir uns am Nachmittag telefonisch angemeldet hatten. Wir bewohnen ein Zimmer in einem von vielen im Wald verstreuten Häuschen. Diesmal keine urige Blockhütte, sondern ein Hotelzimmer mit allem Komfort. Früher soll hier ein Kinderheim gewesen sein. Vielleicht lagen deshalb heute bei den Handtüchern auf den Betten als Einschlafgruß keine Gummibärchen, sondern eine Tüte Gummischäfchen. Als wir es uns gemütlich gemacht hatten, begann in der Ferne ein lange anhaltendes kräftiges Gewitter. Wir überstanden den lokalen Regenguss beim Abendessen. Als wir fertig waren, hatte auch der Regen aufgehört.

Gute-Nacht-Gummischäfchen

Ein ganzer Tag in Park- und Auenlandschaft. Im Kleinen Landhaus in Vockerode hatten uns Hahnenschrei und Hühnergegacker geweckt und der Baum vor unserem Gartenhäuschen hatte bereitwillig ein paar Äpfel für uns ins Gras fallen lassen. In der Ferne donnerte es und während wir beim Frühstück saßen, entlud sich ein kräftiges Gewitter. Damit war aber dann das Thema Regen auch schon abgehandelt und ein wunderschöner Reisetag konnte beginnen.

Burgtor im Sieglitzer ParkNach einem kurzen Stück durch den Ort und sein Gewerbegebiet gelangten wir wieder in die Parklandschaft des Gartenreichs. Auwälder, alte Gemäuer, weite Wiesenflächen mit riesigen alten Bäumen, Seen, Altwässer, die Elbe. So ging es zunächst bis Dessau, wo wir ziemlich lang herumirrten und zunächst das Stadtzentrum, dann das berühmte Bauhaus suchten. Weder das eine noch das andere verlockte uns zum Bleiben und so folgten wir dem Radweg entlang dem Kühnauer See, setzten kurz vor Aken wieder mit einer Gierfähre über die Elbe und ließen uns vom Rückenwind in rasanter Fahrt über die baumlose Ebene der Steutzer Aue treiben.

Gierfähre bei AkenSo gelangten wir nach Steckby und Walternienburg, Ronney und Dornburg und freuten uns über ungewöhnliche Ortsnamen, dichte Auwälder und immer wieder sich öffnende Weiten mit uralten Baumriesen. In Pretzien schien es uns genug zu sein und so mieteten wir uns in der netten Pension am Storchennest ein. Über dem Haus gibt es tatsächlich ein großes Nest und im Hof listet eine Tafel die seit 1994 dort geborenen Jungstörche auf. Inzwischen scheint die Storchenfamilie allerdings schon ausgezogen zu sein. Unterwegs sahen wir auch bereits Starenwolken, die sich zu sammeln beginnen und die Schwalben sitzen in größeren Gruppen auf den Drähten der Freileitungen. Es ist halt doch schon spät im Sommer.

Elbauen