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Von der netten Müllerin in Sachau, wo wir angenehm im Gartenhäuschen übernachtet hatten, fuhren wir weiter nach Prienitz, überquerten bei Mauken mit der Gierfähre die Elbe und gelangten über Kleindröben, Klöden, Gorsdorf und Listerfehrda nach Elster. Dort gab es den ersten Cappuccino, ehe wir weiter auf Wittenberg zufuhren. Auch heute Störche auf den Feldern und Reiher in Feuchtgebieten, duftendes Heu auf großen weiten Wiesen und vielfältige Blumen an den Hängen der Deiche, an denen wir über weite Strecken entlangfuhren. In den Orten manchmal Storchennester auf hohen Stangen. Ebene Landschaft, so weit das Auge reicht, aber im Kleinen durchaus vielfältig und abwechslungsreich. Das Wetter sonnig, aber das Fahren erschwerte heute wieder ein kräftiger Gegenwind.

Lutherstatue vor dem Rathaus in WittenbergAm Eingang von Wittenberg fanden wir einen Supermarkt, wo wir nach dem Wochenende wieder unsere Proviantvorräte auffüllen konnten. Dann fuhren wir in die Stadt hinein, machten Halt am Rathausplatz und fanden schließlich im Park bei der Schlosskirche eine nette Bank für Rast und Brotzeit. Der trutzige Turm der Kirche trägt passend in großen Lettern die Inschrift „Ein feste Burg ist unser Gott...“. Im Inneren der Kirche fanden wir die Gräber von Luther und Melanchthon, am "Thesentor" erklärte eine Führerin, welche Bedeutung die eben erst erfolgte Erfindung der Druckerpresse durch Gutenberg für die rasche Verbreitung von Luthers Thesen gehabt habe. Auch damals beschleunigte also ein neues Kommunikationsmedium die gesellschaftliche Veränderung.

Deichlandschaft im "Gartenreich Dessau-Wörlitz"Wir mussten etwas suchen, bis wir die Elbebrücke fanden, von der aus wir nochmal einen schönen Blick auf die Türme der Stadt hatten, ehe wir auf der linkselbischen Variante des Radwegs immer am Deich entlang durch wasserreiche Landschaft nach Wörlitz fuhren. Den dortigen Park konnten wir leider nicht durchradeln, wie es der Reiseführer versprochen hatte. Aber der Ort war auch so recht nett anzusehen und wir ließen uns zum Nachmittags-Cappuccino nieder. Es schien ganz passend, unsere Tagesetappe bald zu beenden und so folgten wir dem Rat unseres letzten Wirtes und meldeten uns telefonisch beim Kleinen Landhaus in Vockerode an. Noch ein Stück durchs Unesco-Weltkulturerbe "Gartenreich Dessau-Wörlitz", dann waren wir da und bezogen auch für diese Nacht wieder ein charmantes Gartenhäuschen. Vor der Tür wachsen einem reife Zwetschgen und Äpfel beinahe in den Mund und wir wurden ermuntert, uns gütlich zu tun. Als wir gerade daran gingen, uns den Schweiß des Tages abzubrausen, begann draußen leichter Regen. Die Dusche spendete reichlich warmes Wasser aus zahlreichen Düsen, es war nur nicht ganz einfach, alles wunschgemäß einzustellen. Aber am Ende konnten wir erfrischt und sauber zum Abendessen gehen.

Gartenhäuschen im Kleinen Landhaus, Vockerode

Gut bürgerlich geschlafen, bürgerlich gefrühstückt, am Sachsenhof in Riesa gab es echt nichts auszusetzen. Wir überquerten wieder die Elbe und fuhren am rechten Ufer weiter flußabwärts. Zwischen Fichtenberg und Mühlberg kürzten wir nach einem Blick auf unsere neue Radwanderkarte ab und nahmen die sonntagsleere Straße. Recht nett das Kloster Marienstern, noch wenig renoviert und so auf sympathische Weise unvollkommen. In einer abgelegenen Ecke des Klostergartens ein schmuckes kleines Gartencafé, wo wir uns Cappuccino gönnten.

Die Elbebrücke bei Mühlberg ist zwar gewiss spektakulär und soll die längste Brücke Brandenburgs sein, das wir hier kurz berühren, aber den Deutschen Brückenbaupreis hätte sie von uns schon alleine deshalb nicht bekommen, weil der Ausblick aufs Elbtal beidseits von schwarzgepunkteten Glaswänden behindert wird. Allerdings fehlten schon jetzt viele der Glaselemente, so dass sich die Aussicht wohl langsam verbessert.

Rolandsstatue vor dem Rathaus von Belgern
Gen Belgern schickten uns die Deichbauer über die Hauptstraße, statt an der Elbe entlang, wo die Wasserschutzbauten erneuert werden. Die Umweg-Wegweisung leider nicht ganz konsistent, so dass wir uns erneut über die neue Landkarte freuen konnten. Nett vor dem rot gestrichenen Rathaus von Belgern ein steinerner Roland mit vergoldeten Einzelheiten. Ab da ging es wieder auf dem normalen Elberadweg weiter bis kurz vor Torgau, wo wir erneut auf eine schlecht ausgeschilderte Umleitung durch die Stadt geführt wurden. An den verwirrten Gesichtern entgegenkommender Radreisender war zu erkennen, dass die Wegweisung auch in Gegenrichtung zu wünschen übrig ließ. Erst bei Döbern erreichten wir wieder den Elberadweg. Die Landschaft durchaus abwechslungsreich und hier auch mit kleinen Steigungen. Am Wegrand immer wieder kleine Schilder mit Werbung für Unterkünfte. "Zur Müllerin" war ein irgendwie verlockender Name auf roten Schildchen und so riefen wir schließlich dort an und reservierten ein Zimmer.

Der Himmel war schon seit einer Weile bedeckt, die Luft feuchtwarm, es gab ein paar Regentropfen und wir waren froh um die Aussicht auf ein sicheres Nachtquartier. Hinter Dommitzsch war die Straße von Zwetschgenbäumen gesäumt und wir taten uns gütlich. Obstbaum-Alleen, wie sie uns schon zur Kirschenzeit in Thürigen erfreut hatten, gibt es auch hier. Die kleinen Äpfel und Birnen, die jetzt reif sind, haben wir allerdings noch nicht verkostet. Mit dieser kleinen Wegzehrung gelangten wir schließlich nach Sachau, wo wir beim Gasthof Zur Müllerin ein hübsches kleines Gartenhäuschen beziehen konnten. Davor, im Wirtsgarten gab es schmackhafte Forelle und anständigen Schweinsbraten mit Weißkraut. Nach dem Abendessen spielte der Wirt draußen noch bemerkenswert geläufig einige Stücke auf der Klarinette. Alles sehr nett und freundlich und ganz zu Recht sind alle Zimmer für die Nacht voll belegt.

Gasthof Zur Müllerin, Sachau

Ehrlich gesagt, schlafen wir nachts doch lieber bei offenem Fenster, als bei eingeschalteter Belüftungsanlage. Und wir schauen auch nicht gerne im Internet nach der Außentemperatur, ehe wir aus dem Haus gehen, sondern halten einfach die Hand hinaus. Auch waschen wir uns das Gesicht lieber an einem Becken, über das man den Kopf halten kann, ohne ihn sich an einem Design-Wasserhahn zu stoßen. So viel zu den Grenzen des Komforts im hochmodernen Etap-Hotel Dresden, das wir nun wieder samt Fahrrädern per Edelstahl-Lift verließen. Frühstück gab es nochmal im Wiener Cafe beim Kulturpalast und dann ging es los Richtung Meißen. Der eigentliche Beginn dieser Tour, bei prächtigem Sonnenschein und ordentlichem Gegenwind. Wir waren natürlich nicht die einzigen Radler auf dem Weg, sondern trafen immer wieder auch auf größere Gruppen, viele davon Tagesausflügler mit kleinem Gepäck.

MeissenIn Meißen machten wir Halt und gönnten uns einen Cappuccino. Die Suche nach einer guten Landkarte erwies sich als schwierig. Ich erstand schließlich einen Radwegführer, der zwar viel zu viel Reklame enthielt, aber sonst einigermaßen brauchbar zu sein schien, um wenigstens etwas mehr von der Umgebung zu sehen, als auf dem Navi.

Elbauen mit KuhherdeWeiter ging es durch schöne Flusslandschaft. Bei Nünchritz buntes Rohrgewirr an der Wacker-Chemiefabrik. Spätnachmittags erreichten wir Riesa, wo wir übernachten wollten. Im Hotel Sachsenhof fanden wir ein geräumiges Zimmer, ruhten ein Wenig aus und spazierten dann durch den aufgeräumt wirkenden Ort.

Hauptstraße RiesaWir sahen ein Kloster, einen weitläufigen Park am Fluss, ein glyzinienbewachsenes Rathaus, staunten über die niedrigen Preise der in verschiedenen Maklergeschäften angebotenen Häuser und Wohnungen und kehrten schließlich, dem aufkommenden Hunger gehorchend, zurück in den Sachsenhof, wo wir mit bürgerlicher Küche bewirtet wurden. An diesem Tag wurde hier überall Einschulung gefeiert, nach Landessitte ein großes Familienfest für die Kleinen, deren Unterricht am Montag beginnt. Am Abend hörten wir sogar verschiedentlich etwas Feuerwerk und während wir schon müde vom ersten Radeltag ans Zubettgehen dachten, war unten im Wirtshaus noch allerhand los.

Riesa Fußgängerzone

 

Das Bett tat beste Dienste und wir schliefen gut und recht lange. In einem Stehcafé gab's Hörnchen und Milchkaffee, dann erklommen wir den Hausmannsturm im Residenzschloss und verschafften uns einen ersten Überblick. Oben war es recht windig, aber noch trocken. Wir liefen weiter zum Zwinger, betrachteten die Touristenströme von obder Terrasse aus, dann unten aus nächster Nähe und besuchten anschließend die Katholische Hofkirche. Draußen zogen finstere Wolken auf und schon nach einem kurzen Blick von der Brühlschen Terrasse begann heftiger Regen, vor dem wir in einen Brückendurchgang flohen. Als der Guß vorbei war, gingen wir zur Frauenkirche und von dort zur Kreuzkirche. Gleich nebenan im Aha, wo wir gestern schon zu Abend gegessen hatten, gab's Kuchen und Milchkaffee.

DresdenDann holten wir die Fahrräder aus dem Hotel, sahen uns das orientalisch anmutende Gebäude der früheren Zigarettenfabrik Yenidze an, genossen von der Elbbrücke aus einen schönen Blick auf die Altstadt und erkundeten dann die Neustadt mit vielen Szeneläden und -Lokalen. In der Kunsthof-Passage fanden wir dann auch ein originelles Lokal, die Lila Soße, wo wir recht annehmbar zu Abend aßen. Anschließend schauten wir uns bei wunderschönem Abendwetter noch recht lang das bunte Treiben des Dresdener Stadtfestes an, das heute begonnen hatte.

Dresden, Stadtfest

 

Die Bahn ist voller Rätsel. Eines davon ist die Fahrplanauskunft im Internet, die uns heute mit der Sonderabfrage "Fahrradmitnahme" auf eine lange etappenweise Fahrt mit der Vogtlandbahn geschickt hat. Von München nach Hof, dann nach Plauen, dann nach Zwickau und nach einem weitern Mal Umsteigen endlich nach Dresden.

In Hof auf allen Linien Verspätung. Der Zeitabstand zwischen dem durchgehenden Regionalexpress nach Dresden und der etappenreichen Vogtlandbahn war zu knapp, um es am Schnellzug zu versuchen, und bei Platzmangel dort zum Bummelzug zu wechseln. Der wäre dann fort gewesen. Laut Fahrplan zumindest. Als er endlich fuhr, hatten wir mit langen Gesichtern schon zwei Schnellzügen nachgeschaut.

Aber nette Namen haben die zahlreichen Haltestellen der Vogtlandbahn: hinter Hof kommt Feilitzsch, dann Gutenfürst und Grobau, Schönberg, Mehltheuer, Syrau, der Zug hält überall nur auf Anforderung, schließlich Plauen. Dort erneut die schwierige Wahl: langsam, aber sicher, mit dem bereits einladend wartenden Bummelzug nach Zwickau, oder riskieren, auf den schnellen Direktzug nach Dresden zu warten und dann keinen Fahrradplatz zu bekommen. Wir entschieden uns für die Vogtlandbahn: Jößnitz, Jocketa, Ruppertsgrün, Herlasgrün, Netzschkau, Steinpleis, Lichtentanne, Zwickau.

Dort dann nochmals das Entweder-Oder, aber diesmal war's einfach, denn eine Schaffnerin verriet uns, dass der Schnellzug in jedem Fall eher fahren würde, als die Regionalbahn am gleichen Bahnsteig. Immerhin fünfzig Minuten gewonnen.

In Dresden erst Verwirrung, denn das Navi führte uns brav an die geografisch richtige Stelle, aber man hatte den Straßennamen geändert und wir suchten etwas herum, bis wir verstanden: Das Etap-Hotel Dresden ist, ohne sich von der Stelle zu rühren, von der Wilsdruffer Straße 25 zum Altmarkt 25 übersiedelt.

Innen futuristisch-spartanisch. Samt Fahrrädern im edelstahlglänzenden Lift zur Rezeption in die zweite Etage, wo es auch einen wohlgeordneten Veloparkplatz gibt. Das Zimmer modern, klimatisiert, sauber, schranklos, tischlos, stuhllos. Die Dusche eine Glaskanzel in der Zimmerecke. Davor, freistehend an einer schmalen Säule, das Waschbecken. Das WC einsam in einem winzigkleinen abgeschlossenen Raum.

Wir verstreuten unsere Sachen auf dem Boden und machten uns auf, Abendessen zu suchen. Nebenan, in der hochmodernen Altmarkt-Galerie, Fehlanzeige. Zwischen Markenshops nur Ketten-Snack für den eiligen Gast, jetzt schon geschlossen. Ein paar Straßen weiter, gleich hinter der Kreuzkirche fanden wir das Café-Restaurant Aha - Anders Handeln, Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung und kirchliche Ökumene. Wir aßen wohlschmeckend und mit bestem politischem Gewissen. Als Nachspeise Grießbrei mit Kirschkompott, wie daheim. Der stillte den Hunger, den die Hauptmahlzeit noch übrig gelassen hatte. Das Lokal erkennbar ein Treffpunkt engagierter Menschen.

Wir umrundeten in lauer Nachtluft noch kurz die Kreuzkirche und schlenderten dann wieder zum Hotel. Das "Twin-Bett", bestehend aus zwei je nach gegenseitiger Gunst verschiebbaren Spanplatten mit aufgelegten Schaumstoffmatratzen, am Kopfende Sensorschalter für die Beleuchtung, darüber als Wandbild die minimalistische Andeutung einer Wiese, sollte sich als einfache aber höchst effiziente Vorrichtung zur Durchführung des Nachtschlafes erweisen. Träume müssen die Gäste allerdings selbst mitbringen.

Etap Hotel Dresden

Die Lage unseres Zimmers direkt am Marktplatz hätte in der Freitagnacht einigen Lärm von Nachtschwärmern erwarten lassen, aber es blieb bemerkenswert still und wir konnten in dem bequemen Bett wunderbar schlafen. Auch die Marktleute bauten ihre Sachen frühmorgens so leise auf, dass wir beim ersten Blick aus dem Fenster ganz erstaunt waren, einige Stände mit Obst und Blumen und einen Wurstbrater direkt vor dem Haus zu entdecken. Der machte mit eigener Leibesfülle Reklame für sein nahrhaftes Angebot und in der Tat fand er auch schon so zeitig am Morgen Kundschaft.

Wir standen auf und gingen zum Hotelfrühstück. Als wir fast fertig waren, erlosch das Licht im Raum, und, wie sich schnell herausstellte, nicht nur im ganzen Hotel, sondern auch in der Nachbarschaft. Sogar die Uhr am Rathausturm blieb stehen, holte aber die verlorene Zeit schnell wieder nach, als der Strom nach einer guten Viertelstunde zurückkehrte.

Wir bezahlten die geschuldeten 95 Euro für die fürstliche Nachtruhe und machten uns auf den Weg. Beim Bäcker gab es Proviant, unsere Wasserflaschen hatten wir schon am Hahn im Hotel gefüllt. Erst ein Stück durch die Stadt, dann fanden wir den Einstieg in die Saaleroute. Wir folgten einer der für den Osten so charakteristischen aufgeständerten Rohrleitungen. Hinter den Rohren eine der ebenso charakteristischen Datschen-Siedlungen. Kleine Parzellen mit Gartenhäuschen und Lauben, Obstbäumen, Gemüse- und Blumenbeeten. Die Wegweiser wichen von der Route auf Karte und Navi ab, führten durch ein Industriegebiet, das von ganz vielen Rohren durchzogen war. "Thermische Verwertungsanlage Schwarza" stand an einem Gebäudekomplex mit zwei dünnen hohen Schloten. Neusprech für Müllverbrennung. Der Weg führte zwischen hohen Zäunen weiter, rechts die Bahn, links eine Papierfabrik. Dann zum Glück doch wieder unter Bäumen durch die Flussaue. So erreichten wir Saalfeld.

Auf dem Marktplatz Trompetenkonzert vom Rathausbalkon, nicht immer ganz tonrein. Die Marktleute packten schon ein. Wir genossen Cappuccino, dann radelten wir zum Bahnhof. Wir erreichten noch einen früheren Zug nach Weida, als geplant, und hatten dort, am modernen Haltepunkt mitten im Niemandsland, reichlich Zeit, treppab, treppauf, den Bahnsteig zu wechseln.

Mit dem Dieselzug in Richtung Regensburg verließen wir Thüringen. Das Wetter auf dieser Reise hätte besser sein können, aber an den meisten Tagen gab es nur kleine Schauer oder etwas Niesel. Richtig unangenehm war es nur vor Weimar, von wo unsere Räder und Taschen einen grauweissen Belag mitgebracht haben. Immer wieder erstaunt hat uns die Freundlichkeit der Menschen. Oft sind Autofahrer ausgewichen oder langsam hinter uns her gefahren, obwohl der Platz für eine enge Vorbeifahrt gereicht hätte. Nie wurde gedrängelt oder gehupt. Auch in den Ortschaften erlebten wir viel unerwartete Rücksichtnahme, etwa dass Leute extra geduldig stehen blieben, um mir beim Fotografieren nicht in den Weg zu laufen. Wir hatten auf dieser Tour niemals unangenehme Erlebnisse - bis auf die Rückfahrt.

Beim Einstieg in Weida war unser Zug wenig besetzt. In Hof allerdings kam eine Invasion von Radfahrerinnen und Radfahrern, die mit großer Rücksichtslosigkeit in den Wagen drangen und alles zustellten. Die gleichen Leute trafen wir dann auch beim Umsteigen in Regensburg, wo sie sich zwischen uns drängten, so dass unsere Räder zum Schluss an entfernten Enden des Zugs zu stehen kamen. Durch einen Lokführerstreik gab es große Verspätungen, einige Züge waren ausgefallen und alle hatten Sorge, noch einen Platz zu ergattern. Ende gut, alles gut, wir erreichten München und kamen etwas später als erwartet, aber heil zu Hause an.

Tour Ilm/Saale Juni 2011

 

Wirtshausfrühstück im Thüringer Hof, wo wir sehr komfortabel übernachtet hatten. Dann zum Supermarkt, um Proviant und Wasser zu kaufen. Schließlich zurück auf den Saale-Radweg. Heute wieder mit anständiger Orientierung. Die Beschilderung ist nicht ganz so konsequent wie an der Ilm, manchmal auch irreführend, aber wir haben die neue leporellogefaltete Karte (die sich einmal beim Umblättern während der Fahrt im Wind entfaltete und munter davonflog). Außerdem hatte ich mir mehr Zeit mit der Vorbereitung des Navi genommen: Umwandeln der Wegbeschreibung aus dem Radreise-Wiki vom kml-Format ins Garmin-Format bei gleichzeitiger Aufteilung der Route in passende Teilstücke. Auf dem Netbook eigentlich kein Problem mit WinGDB3, aber doch nicht ganz ohne Tücken. Dann noch Umkehren der einzelnen Abschnitte, denn wir fahren ja in Gegenrichtung...

Nach der langen gestrigen Stecke waren wir etwas lahm und steigungsmüde. Außerdem wehte kräftiger Gegenwind, der immer wieder dunkle Regenwolken vorbeitrieb, die uns kurze Schauer bescherten. In Rudolstadt nahmen wir Zuflucht unter dem großen Schirm des Eiscafe Aquila im Hotel Adler und fanden den Ort so hübsch, dass wir nach kurzem Studium von Landkarte und Zugfahrplänen beschlossen, die letzte Nacht dieser Reise hier zu verbringen. Und da wir schon einmal vor dem Hotel Adler saßen, leisteten wir uns den kleinen Luxus, es dem alten Goethe gleichzutun und in diesem Haus abzusteigen. Das prachtvolle Zimmer hat zwei große Fenster zum Rathausplatz.

Nachdem wir unsere Habseligkeiten in Schrank und Fensternischen untergebracht hatten, wanderten wir durch die schmalen Gassen hinauf zum Schloss Heidecksburg. Rudolstadt ist wirklich sehr hübsch. Der Sozialismus hat nur wenige Bausünden hinterlassen. Ein Teil der Gebäude ist noch im heruntergekommenen Altzustand, aber viele sind liebevoll und stilgerecht renoviert. Vom hohen Schloss schöne Blicke auf Stadt und Landschaft. Auch Schlosshof und -garten sehr nett anzuschauen. Wir blieben eine Weile, verzichteten aber auf den Besuch des Museums und der Fürstengemächer. Wie schon mehrfach an diesem Tag kündigte sich mit Windböen und finsteren Wolken ein heftiger Regenguss an, aber wieder fielen nur wenige Tropfen.

Durch einen Laubengang stiegen wir ab in die Stadt und wanderten durch die bunte Häuservielfalt der Schillerstraße bis zum Cafe im Schillerhaus, wo wir zu Kaffee und Kuchen einkehrten. Dann querten wir Bahn und Fluss, schlenderten auf der anderen Seite durch den Park und zur Abendessenszeit wieder in die Stadt zurück.

Zum Abendessen kehrten wir im Verrückten Kartoffelhaus am Markt ein. Das Lokal ist mit originellem Trödel ebenso überladen wie die Speisekarte an originellen Gerichten mit und ohne Kartoffeln. Deftig, gut und absolut reichlich. Nur ein paar Schritte über den Marktplatz und wir waren zurück im Hotel.

 

Gut geschlafen, beim Erwachen die Sonne durch den Rolladen blinzeln sehen, geräkelt, gewaschen, gepackt, von der an allem herzlich Anteil nehmenden Frau Nowak verabschiedet, die Räder bepackt, hinüber zum Nahkauf um Frühstück und Proviant und ab in den Park. Déjeuner mit Blick auf Goethes Gartenhaus.

Dann wieder auf die Route. Bedrückend unterhalb einer hohen Bahnbrücke Totenmale für jugendliche Selbstmörder. Ein Eisenkreuz, aufgehäufte Schottersteine, Fotos, Gedichte, kleine Kuscheltiere, ein großes Graffittibild in lebensfrohen Farben. RIP. Weiter durch Wald am Flüsschen entlang. Von Tiefurt bis Kromsdorf hieß die Route "Maria-Pawlowa-Promenadenweg", dann "Franz-Liszt-Promenadenweg" - jedem Ort seine Berühmtheit. Zwischen Oßmannstedt und Oberroßla eine Kirschbaumallee mit wohlschmeckenden reifen Früchten. Am Eingang von Niederroßla machte sich Luftmangel in meinem Hinterreifen bemerkbar. Aufpumpen half nur kurz, also Schlauchwechsel am baumbestandenen Dorfplatz. Problemloser Aus- und Einbau des Hinterrades. Das haben Utopia und Rohloff elegant gelöst. Gleich noch Brotzeit. In der Ferne dunkle Wolken.

Auch hier, wie schon am Morgen, immer wieder Sturmschäden an Bäumen. An einem verwahrlosten Kirschgarten ein riesiger uralter Ast mit wundervollen Früchten. Früher sei hier geerntet worden, heute kümmere sich niemand mehr um die Kirschen, erzählte eine Frau, die mit dem Auto aus Eberstedt herüber gekommen waren, um Kirschen für einen Kuchen zu pflücken. Wir aßen reichlich, aber maßvoll. Das Wetter blieb uns hold.

An der begehbaren Sonnenuhr von Eberstedt machten wir die Bekanntschaft von Leuten, deren Tochter in Ottobrunn am Haidgraben wohnt. "Klein ist die Welt." Zwei große Schalen Milchkaffee "Zum Wassermann" in Bad Sulza. Leider kein Fahrradgeschäft, wo ich mir eine anständige Luftpumpe hätte borgen können, denn mein Hinterreifen war noch etwas schlapp.

Ein paar Kilometer weiter, wo die Ilm in die Saale mündet, endete dann der Ilm-Radweg und wir fuhren saaleaufwärts. Sattgrüne Laubwälder an den Hängen des Tals. Zuerst ging es eine ganze Weile an der Saaletal-Bahn entlang. Dann etwas weiter entfernt in den Auen. Irgendwann beschlossen wir, dass es nun nicht mehr lohne, vor Jena Station zu machen.

Aber Jena wollte uns nicht. Alle in Frage kommenden Hotels, einschließlich Ibis, belegt. Die Gegenden der Stadt, durch die wir auf der Suche kamen, ließen uns insgesamt zweifeln, ob es sich lohnen würde, zu bleiben. Um halb Acht beschlossen wir, im Einkaufszentrum Neue Mitte unter dem riesigen Glasturm eine Radtourenkarte des Saaleradweges und eine große Flasche Wasser zu kaufen und die Stadt flussaufwärts zu verlassen.

Es sollte allerdings noch bis halb Zehn dauern, bis wir den Thüringer Hof in Kahla erreichten. Bei leichtem Niesel und zwei wunderbaren Regenbogen hatten wir uns schon alle Arten der Nächtigung im Freien ausgemalt. Zum Schluss wurde es noch einmal spannend, denn der Gasthof hatte Ruhetag und alles war dunkel. Schließlich wurden wir aber doch noch eingelassen und bekamen für 49 Euro ein frisch renoviertes Zimmer mit allem Komfort. Auf Empfehlung der Wirtin suchten wir dann noch ein griechisches Lokal im ehemaligen Ratskeller und bekamen gut und reichlich zu essen. Fast wären es an diesem Tag 100 km geworden.

Tagesbeginn mit Regen, der zum Glück bereits nachgelassen hatte, bis wir aus dem Haus kamen. Erster Weg zum Nahkauf, Roggensemmeln, Hefehörnchen und Bananen zum Frühstück, verzehrt im Gehen Richtung Goethes Gartenhaus.

Der Besuch dort gab einmal mehr Anlass zu Gedanken darüber, dass unser vielgelobtes National-Genie einfach auch die gesellschaftliche Stellung und die finanziellen Mittel besaß, das umzusetzen, was ihm sein unternehmender und in so vielen Bereichen dilettierender Geist eingab. Man muß sich den Dichterfürsten ja nicht mit Harke und Spaten in dem von ihm "angelegten" Garten vorstellen, oder auf Knien jätend zwischen Erdbeeren und Spargel. Während ich mich bei einer Tasse Milchkaffee im "Residenz-Cafe" solchen Gedanken hingab, las Friederike im Baedeker die Beschreibung von Goethes späterem Stadthaus am Frauenplan und vermisste folgerichtig die Erwähnung von Küche und Kinderzimmer.

Weiter zur Kirche Peter und Paul, wo gerade eine Mittagsandacht gehalten wurde. Die Pfarrerin meditierte über Stille und lud abschliessend zu solcher ein, bis sie das Zeichen zum gemeinsamen Singen einer Liedstrophe geben würde. Der Organist hatte anderes im Sinn und präludierte die Stille nieder, ehe er gleich zwei Strophen des angekündigten Liedes ertönen ließ. Wozu war er schließlich gekommen?

Auffallend, wie schon an den vorherigen Stationen unserer Reise, ist das Fehlen von innerörtlichen Lebensmittelgeschäften, wo wir etwas zu Essen kaufen könnten. So verschlug es uns in eine moderne Shopping-Mall, wo wir uns mit Aldi-Wasser und Brötchen versehen konnten. Am nahen alten Jakobskirchhof machten wir Rast und beobachteten eine Schülergruppe, die wie wir das Grab von Christiane Vulpius und das Schiller-Mausoleum besichtigte.

Eine Alarmglocke im nahen Plattenbau, der heute ein Studentenheim beherbergt, rief jede Menge Feuerwehr herbei, aber es war wohl nichts Großes passiert. Vom Turm der Jakobskirche aus konnten wir besonders gut sehen, wie der riesige Klotz von 1969 das Stadtbild verschandelt. Einer Informationstafel zufolge hatte man zeitweise die Absicht gehabt, das ganze Stadtviertel platt(e) zu machen. Wir guckten erst aus den Fenstern der Türmerwohnung, dann, nach Bezwingung einer Hühnerleiter, auch noch aus den kleinen Turmfenstern und sahen Dächer, Landschaft, Türme und noch einige weitere Bausünden des 20. Jahrhunderts. Unten in der Kirche übte klangvoll ein langhaariger Organist.

Postkartenschreiben im blumenreichen Garten des Kirms-Krackow-Hauses. Auf dem Markt eine Thüringer Rostbratwurst in der Semmel. Dann auf Umwegen zum Bauhaus-Museum. Während wir uns den Einführungsfilm ansahen, begann draussen ein heftiger Gewittersturm. So hatten wir reichlich Zeit, uns den Saal mit Kunst, Architekturentwürfen und Alltagsgegenständen in Ruhe anzusehen. Es goss anhaltend.

Als die Sonne wieder hervor kam, zerrten die Punks vom Theaterplatz einen riesigen Ast über den Plan und stellten ihn am Goethe-Schiller-Monument auf. Feuerwehr war unterwegs, um überall die Unwetterschäden zu beseitigen. Wir wanderten zum Historischen Friedhof, dessen große alte Bäume verschont geblieben waren, umrundeten das Fürstengrab, in dem auch Goethe bestattet ist, fanden auch die restliche Familie Goethe und die Frau von Stein, liefen dann zurück in die Stadt und bekamen in einer Trattoria in Eckermanns Haus gut zu Essen und Ruhe für die müden Beine. Dann in kräftig kühler Abendbrise durch den Park, an Goethes Gartenhaus und der Bauhaus-Villa am Horn zurück zu Frau Nowak, wo wir unsere Betten gemacht und die Handtücher gewechselt fanden.

Die Wirtin hatte zwar verkündet, wenn es in dieser Gegend morgens regne, gäbe es am Mittag trockenes Wetter, aber sollte diese Regel je gegolten haben, so war an diesem Tag Ausnahme. Es ist nicht wirklich schlimm, im leichten Regen zu fahren, wenn es nicht obendrein kalt ist. Aber schönes Wetter ist halt doch angenehmer. Und aufgeweichte Wege aus zementgebundenem Sand hinterlassen auf Rädern, Gepäcktaschen und Kleidung einen unschönen grauen Überzug.

Die Strecke war eigentlich recht schön. Im nun wieder engeren Tal ging es vorbei an München nach Bad Berka und über Buchfart und Oettern nach Mellingen. Einmal überstanden wir einen kräftigen Regenguss im Schutze großer Blauer Terrassenschirme bei heissem Milchkaffee.

Wir erreichten Weimar in leichtem Regen, waren etwas unschlüssig hinsichtlich der Unterkunft und suchten Hilfe beim Touristenbüro, wo wir die Adresse eines Privatzimmers bekamen. Leider hatte das Fräulein vom Amt etwas andere Vorstellungen von Innenstadtnähe, als wir, denn Frau Nowak wohnt auf der Anhöhe jenseits des Parks. Sonst ist alles sehr nett und in Ordnung.

Wir nahmen die schlammbespritzten Gepäcktaschen von den schlammbespritzten Rädern, für die sich ein überdachter Platz im Garten fand, zogen uns um, ruhten etwas aus und wanderten wieder hinunter in die Stadt.

Wir spazierten durch die Gassen, guckten hier, guckten da, fanden Weimar recht hübsch und großenteils auch recht hübsch hergerichtet, staunten über große Pferdekutschen mit mobiltelefonierenden Kutschern, schrieben ein paar Postkarten, fotografierten hier und dort und taten, was man als Tourist so tut, bis wir in Nähe des Schlosses das ACC fanden, ein alternatives Kunstzentrum mit nettem Restaurant und gutem Abendessen.

Überall in der Stadt hatten wir schon Bühnen gesehen, auf denen dann am Abend alle Arten von Musik aufgeführt wurden. Das Wetter war trocken und lau, so dass wir noch lange durch die Straßen wanderten und immer wieder stehen blieben und zuhörten. Am Ende wurde uns der Weg durch finstere Straßen und den Park zurück zu unserem Zimmer ziemlich lang.