Die Nacht war gut, nur gegen sechs Uhr früh begann ich die Ansagen wahrzunehmen, die in kurzen Zeitabständen vom Bahnhof herüberwehten: (Bimbam) "Attenzione! Treno in transito al binario due. Allontanarsi dalla linea gialla." Zweimal nacheinander, dann das Rauschen des Zuges. Wir drehten uns noch ein paarmal zur Seite, aber dann war doch Zeit, aufzustehen.
Das Frühstück begann zäh. Eine der Damen, die wir schon am Vortag kennen gelernt hatten, richtete ein wenig unseren Tisch her, stellte sich aber selbst als Gästin vor. Erst nach einer Weile erschien auch die Signora und brachte Semmeln, Hörnchen, Butter, Marmelade und einen bitteren Kaffee, der Tote hätte erwecken können.
Mit dem Bezahlen ging es ebenfalls etwas holprig, denn inzwischen telefonierte die Signora, anscheinend handelte es sich um einen Trauerfall. Hoffentlich nicht in der Runde der betagten Gäste vom Vorabend. Nebenher schrieb sie unsere Rechnung für Zimmer und Abendessen und kassierte. Beinahe hätten wir in dem Chaos noch vergessen, unsere Personalausweise zurückzuverlangen, die sie bei unserer Ankunft verlangt hatte.
Schließlich waren wir aber doch richtig auf der Straße und fuhren weiter gen Süden. Die Berge wichen seitlich zurück, zwischen uns und der Ebene lag nur noch ein Höhenzug, auf dem sich fleißig vier Windräder drehten. Auf der Autobahn, an der wir ein ganzes Stück entlang fuhren, herrschte zähfließender Verkehr bis Stau.
Der Berg, den wir noch zu überwinden hatten, war nicht ganz leicht zu nehmen, auch wenn wir inzwischen wieder ganz gut in Übung sind. Dafür gab es oben eine weite Aussicht in das Tal, aus dem wir gekommen waren, und auf der anderen Seite ging es so flott und steil bergab, daß wir die Leute schier bedauerten, die uns entgegen kamen.
Die Karte auf meinem Navi hatte uns schon verraten, daß unten im Berg ein Kanal verlief. Als wir die Stelle erreicht hatten, wo er wieder hervortritt, ging unser Weg am Kanal entlang weiter, auf dem Damm, über Brücken neben dem Wassertrog, bis kurz vor Verona. Leicht und schnell gelangten wir in die Stadt hinein, umrundeten die Piazza Brà und ließen uns dann vor einem Café nieder.
Anschließend wies uns OpenStreetMap auf meinem Smartphone wieder einmal rasch den Weg zu einer Trinkwasserstelle, wo ein kleiner Junge selbstvergessen aus einem Plastikschälchen trank und vergoss und ein Mädchen nicht von dem Druckknopf weichen wollte, mit dem der Hahn geöffnet wird, so daß sie allen Leuten beim Zapfen half.
Verona wieder zu verlassen, war sehr viel schwieriger, als hinein zu gelangen. Wir fuhren auf langen breiten Ausfallstraßen, durch riesige Kreisverkehre, endlose Gewerbegebiete und Vororte, bis wir an die Peripherie gelangten und sich die platte Weite der Poebene vor uns ausbreitete. Die Hitze machte uns an diesem bisher heißesten Tag des Jahres sehr zu schaffen. Hatte uns aus den Bergen heraus noch der kräftige Rückenwind geschoben, der auch die Windräder trieb, so stand jetzt die Luft und an manchen Stellen fuhren wir wie gegen eine Wand aus Hitze, wie bem Öffnen eines Backofens. In einem großen Supermarkt auf dem Land kauften wir Obst und Wasser. Unser Durst war enorm.
So waren wir recht froh über den Dunst, der nachmittags das Sonnenlicht dämpfte, und über einzelne dünne Wolkenschleier, die etwas Schatten spendeten.
An unserem Hotel in Bonferraro stand eine Telefonnummer, die wir anrufen mussten. Nach zehn Minuten kam dann mit dem Auto ein überaus freundlicher junger Mann, der uns einließ und uns zusätzlich zu unserem Zimmer auch noch den Schlüssel zu einem Laden-Appartement im Parterre überließ, damit wir dort unsere Fahrräder einstellen konnten.
Wir genossen den Komfort von Klimaanlage und Dusche und gingen dann in eine nahe Trattoria, in der die Gäste statt Antipasto, Primo und Secondo nacheinander mehrere Portionen verschiedener Risotti aßen. Schließlich waren wir in einem Reisanbaugebiet und das wurde hier wohl ausgiebig zelebriert. Gemüse oder gar Salat haben wir in dem Lokal nirgends gesehen. Wir fühlten uns schon nach je einer Portion gut gesättigt und probierten zum Abschluss noch "Mustarda e Grana", pikant in Senf eingelegte Früchte mit würzigem Hartkäse. So war auch unser Salzhaushalt nach dem schweißtreibenden Tag wieder ausgeglichen.
Den weiteren Abend verbrachten wir mit Bloggen und Planen für die nächsten Etappen. Die Fotos zum Text macht übrigens, eines alle dreißig Sekunden, eine an meinem Fahrrad befestigte GoPro-Kamera. Daher der bisweilen extreme Weitwinkel-Effekt, der ganz witzige Verfremdungen schafft.
Kategorie: Radreisen
7. August 2015 – Mezzocorona – Rivalta (87 km)
Der gestrige Tag war heiß gewesen und in der Nacht kühlte es nicht wesentlich ab. Um dem Straßenlärm zu entgehen, probierten wir es mit der Klimaanlage, aber die erwies sich als nicht besonders leistungsfähig. So folgten dem heißen Tag eine heiße Nacht - und wiederum ein heißer Tag.
Wir starteten etwas eher als sonst, verließen den Ort und folgten weiter dem Radweg, der heute über weite Strecken auf Flussdämmen verlief.
In Trento versorgten wir uns mit Semmeln, Käse, Tomaten und einer großen Tüte Weintrauben. Dann setzten wir uns an der Piazza del Duomo vor ein Café und sahen der Feuerwehr zu, die mit einem riesigen Kran verkohlte Balkenstücke aus der Glockenstube der Torre Civica barg. Dort hatte es, wie wir Internet-Berichten entnahmen, vor drei Tagen ordentlich gebrannt, vermutlich durch einen Kurzschluss.
Bald nach Trento kamen wir an einem kleinen Flughafen vorbei, von dem aus ein Kleinflugzeug die Segelflieger aufzog, die wir schon länger beobachtet hatten. Weiter ging es auf Dämmen durch das mal eng werdende, dann wieder sich weitende Tal. Zeitweise kam kräftiger heißer Gegenwind auf, der uns keine Kühlung verschaffte. Nur wenn beidseitig der Strecke Bäume und Sträucher standen, war es angenehm kühler. Dafür fanden wir auch heute immer wieder Wasserstellen, wenn auch nicht so häufig wie am Vortag.
In Rovereto machten wir nochmal Kaffeepause, dann ging es mit einigen hitzebedingten Halten weiter, mal auf den Dämmen der Etsch, mal durch ausgedehnte Weingärten, mal links das eine, rechts das andere. Immer wieder freuten wir uns über den Geruch den Feigenbäume in der Hitze verströmen und den wir intensiv mit Reisen in südlichen Ländern verbinden. Leider bildeten etliche Kläranlagen, die wir passierten, dazu einen eher unwillkommenen olfaktorischen Kontrast.
Unsere Wasservorräte waren mehrere Male geleert und wieder aufgefüllt, Tomaten und Trauben aufgegessen, als wir schließlich in Rivalta ankamen. Im Hotel Olivo verursachten wir eine kleine Welle der Aufregung unter einigen alten Frauen. Sie liefen und riefen, bis es ihnen mit Hilfe eines dicken Mannes gelang, die Gittertür des Eingangs aufzuschließen, hinter der sie hervorlugten. Schließlich kam auch noch eine Jüngere, die unsere Papiere verlangte, gleich wieder verschwand, um kühles Wasser für uns zu holen, dann den Schlüssel aushändigte, uns in die Garage geleitete, damit wir unsere Räder einstellen konnten und schließlich auch noch für Strom in unserem Zimmer sorgte, das wir mit südländisch heruntergelassenem Rolladen und finster vorgefunden hatten.
Mit kühlem Duschen versuchten wir, die Schweissströme zu beenden, die an uns herunterflossen. Schließlich gingen wir zum Abendessen, wo es (leider etwas trockene) Tagliatelle mit schwarzen Trüffeln gab, und neben anderen Gästen eine Geburtstagsgesellschaft überwiegend betagter Herrschaften, die uns ein Wenig wie ein skandinavischer Dogma-Film erschien. Zeitweise glaubten wir, die unterschwelligen Spannungen mit Händen zu greifen. Wir blieben sitzen, bestellten noch etwas Rotwein und genossen den kühler werdenden Abend.
6. August 2015 – Chiusa – Mezzocorona (76 km)
Die Tische zum Frühstück waren nach Zimmern durchnummeriert. Es gab ein ganz ordentliches Buffet und auch der Kaffee, der in Warmhaltekannen auf den Tischen bereit stand, war besser, als am Vortag. Die Gäste kamen uns großenteils etwas grantig vor, was an den Folgen des feuchtfröhlichen Grillfestes gelegen haben mag. Die kleine Kellnerin, die uns am Abend durch merklichen Zungenschlag aufgefallen war, schien wieder fit. Während wir vor dem Hotel unsere Räder bepackten, sammelte der junge Wirt seine Hausgäste zu einer kleinen Exkursion. Ein riesiger Schäferhund war auch dabei.
Wir hatten uns vorgenommen, bei der Abreise nochmal durch die hübsche Altstadt von Chiusa zu fahren, kauften dabei Obst und Tomaten, Friederike wusch sie am Brunnen vor dem Lokal, wo wir am Vortag gegessen hatten, dann fuhren wir los.
Die Route begann etwas wellig, ging aber nach einiger Zeit in einen sehr angenehmen Bahntrassenweg über, wo wir mit recht konstantem Gefälle über alte Brücken und durch kühle dunkle Tunnels dahinfahren konnten. Ähnlich angenehm ging es dann weiter bis Bozen, wo wir in einem Café an der Piazza Walther Rast machten.
Bozen bezeichnet sich als Fahrradstadt und tatsächlich wird da recht viel geradelt, wir fanden gut ausgebaute Wege und es gibt sogar Luftpumpenstationen. Der weitere Weg lief so angenehm dahin, wie wir das schon für die Abfahrt vom Brenner gewünscht hätten. Der Radweg ist gut ausgebaut, es gibt Rastplätze und Trinkwasserstellen und beides brauchten wir, denn es war enorm heiß und es gab im weiteren Verlauf kaum schattige Abschnitte.
An einem Rastplatz saßen wir in einer Weinlaube und probierten ein paar von den noch kleinen aber schon schmackhaften Trauben. An den Wasserstationen trafen wir andere Radler, die sich ausgiebig frisch machten. Es waren, einzeln und in Gruppen, ungeachtet der Hitze ziemlich viele Radler unterwegs. Wie wir, ordentlich bepackt, für eine lange Reise, oder fast ohne Gepäck mit dem Rennrad, darunter einige zähe, gegerbte ältere Männer. Eine Gruppe von Österreichern, die wir trafen, zwei Männer, zwei Frauen, waren ganz leicht unterwegs und erzählten,dass ein fünfter Mann ihr Gepäck transportierte. Sie berichteten, dass es über vierzig Grad habe. Viel fehlte bestimmt nicht.
Wir waren gut in der Zeit und gönnten uns häufige Pausen. Heute nicht wegen Steigungen, sondern wegen der enormen Hitze. Am Ende erreichten wir Grumo/Mezzocorona, wo wir uns schließlich, zu unserer nicht geringen Überraschung vor einem Hotel wiederfanden, in dem wir vor zwei Jahren schon einmal übernachtet hatten. Damals kamen wir über den Reschenpass und kreuzten hier das Tal auf dem Weg nach Venedig. Deshalb hieß der Ort damals für uns auch "Mezzocorona" und nicht, wie heute, wo wir aus der anderen Richtung kamen, das am Kreisverkehr vor dem Haus angrenzende Grumo/San Michele.
Der Mann an der Rezeption war unbeflissen wie einst und auch die Pizzeria nebenan existierte noch. Dort aßen wir denn auch zu Abend, nicht mit Bier, sondern mit Wasser und Wein, denn langsam wird es in allem echt italienisch.
5. August 2015 – Gries – Chiusa/Klausen (75 km)
Die Nacht war ruhig, nachdem sich das Gewitter ausgetobt hatte, der Morgen war kühl und, als sich die Talnebel verzogen hatten, blau und klar. Das Semmelfrühstück war eher einfach und der Kaffee ging mir auf den Magen.
Für die fünf Kilometer von Gries zum Brenner brauchten wir fast eineinhalb Stunden, weil wir uns Zeit ließen und immer wieder Pause machten. Als Bahnfahrer, die vom Brenner immer nur den eher einsamen Bahnhof kennen gelernt hatten, staunten wir über den belebten Ort. Wir ließen uns zur Belohnung für den Aufstieg auf einen Kaffee nieder, wurden von ein paar Leuten wegen unserer Tour und unserer Ausrüstung befragt und bestaunt, kauften Obst und fuhren weiter, in Erwartung einer gemächlichen Abfahrt.
Zunächst fuhren wir auf und entlang der Staatsstraße, dann folgten wir einem Radweg, der ein ganzes Stück in ein Tal hinein und mit einigen Steigungen bei Gossensass wieder heraus führte. Auch der weitere Verlauf des Radweges enthielt ein paar Steigungen, die uns auf der Hauptstraße erspart geblieben wären. In Sterzing wuschen wir unser Obst an einem Trinkbrunnen, der nur drei dünne Rinnsale spendete.
Ein Stück weit ging es dann entlang der Autobahn, bei Stilfes wieder weg von ihr und in steten Wellen mit unangenehmen Anstiegen und ein paar sehr steilen Abfahrten weiter, bis wir Bahn, Fluss und Autostrada schließlich wieder erreichten. Wir kamen nach Franzensfeste, dann ging es einen steinigen Weg steil aufwärts und wieder hinab, was eher unserer Vorstellung von einem Mountainbike-Trail entspach, als der gemütlichen Abfahrt, die wir erwartet hatten.
Wieder am Eisack-Fluss entlang kamen wir nach Brixen und tranken Apfelschorle, während sich ein altes sächselndes Paar neben uns riesigen Eisbechern hingab.
Das letzte Wegstück schließlich führte uns immer am Fluss entlang zum Zielort des Tages, Chiusa/Klausen. Da hatten wir im Laitacherhof reserviert und bekamen ein recht anständiges, aber etwas duster beleuchtetes Zimmer mit dem Charme der späten Siebzigerjahre, dunklem Holz, indirektem Licht aus der Vorhangblende und erbswurstsuppengrüner Sanitärkeramik.
Die etwas wortreiche Dame vom Empfang legte uns sehr den heutigen Grillabend ans Herz, aber da ist das Angebot für Friederike als Vegetarierin ja eher bescheiden und es war uns auch nicht nach der Gesellschaft der übrigen Hausgäste.
So bezogen wir unser Zimmer und gingen später in die Altstadt, wo wir am Ende einer langen Gasse mit malerischen, zum Teil mittelalterlichen Häusern an einem netten Platz das Lokal zum Hirschen fanden, wo es zwar keine ausgestopften Jagdtrophäen gab, aber gutes Essen und interessantes naturtübes Bozener Bier. Wir waren von der Tagesetappe etwas enttäuscht gewesen, aber der Abend brachte das wieder in Ordnung.
Als wir im Hotel ankamen, war der Grillabend mit Heimatmusik noch nicht zu Ende. Wir setzten uns noch zu einem letzten Bier in den leeren Gastraum und nutzten den oben in unserem Zimmer nicht verfügbaren Internetzugang. Am Ende stand mit einer Hotelbuchung auch die nächste Reiseetappe fest.
4. August 2015 – Kolsass – Gries am Brenner (61 km)
Heute gab es kein Frühstück. Unser erster Weg führte zum Supermarkt, um Obst und Tomaten zu kaufen. Der zweite Weg sollte in ein Café führen, aber das haben wir irgendwie verpasst und so folgten wir zuerst dem durch das weite Tal mäandernden Radweg innaufwärts.
Später kamen Gewebegebiete, erstaunlicher Weise auch einige große Recyclingunternehmen, die ich an dieser Stelle eher nicht erwartet hätte, in Wattens die riesige Fabrik von Swarowski, die mit ihren wuchtigen Gebäuden und Anlagen den alten Ort vollkommen erdrückte. Dann kamen aber auch wieder Maisäcker, Krautäcker und große Felder mit Küchenkräutern. In Hall machten wir einen Abstecher zu einem Café am Fuße der Altstadt und gönnten uns ein verspätetes Frühstück aus Milchkaffee und österreichischen Kipferln zum Eintauchen.
Dann ging es weiter, teils in unmittelbarer Nähe zu Auto- und Eisenbahn, dann auch wieder am Inn entlang und schließlich hinein nach Innsbruck, wo wir langsam die Altstadt durchquerten.
Auf der anderen Seite begann bald in weiten Kurven der Anstieg aus dem Tal.
Dann wurden die Kurven enger, die Straße weiterhin ansteigend aber nicht mehr so steil. Schon von weitem sahen wir hoch oben die weit gespannte Europabrücke der Autobahn, die wir schließlich unterquerten.
Begleitet von Motorrädern, Campern, Pkw und gelegentlichen Lkw kamen wir nach Matrei, wo wir am starken Strahl eines Trinkwasserbrunnens unsere Vorräte auffüllen konnten, und schließlich in das ebenso malerische Steinach.
Von da war es dann nicht mehr allzu weit bis zu unserem Tagesziel, Gries am Brenner, wo wir ein Zimmer im Weißen Rössl gebucht hatten.
Man hatte uns offenbar erst später erwartet und so wurde das Zimmer erst hergerichtet, während wir unter Sonnenschirmen im kleinen Gastgarten hinter dem Haus gespritzen Apfelsaft tranken. Unser Zimmer war hell und licht und mit weißen Möbeln aus dem Hause Ikea eingerichtet, darunter die derzeit berüchtigte Kommode mit dem sprechenden Namen "Malm", die kleine amerikanische Kinder unter sich begräbt, wenn sie an den Schubladen zu klettern versuchen und niemand den Eltern die Aufbauanleitung vorgelesen hat, in der steht, man möge Malm kippsicher an der Wand befestigen. Auch hier, in Gries am Brenner, war dies nicht geschehen.
Wir richteten uns ein, machten uns frisch, ruhten eine Weile und gingen dann nach unten in die Jägerstube zum Abendessen. Dort wimmelte es nur so von ausgestopftem Getier. Da gab es einen Dachs, Wiesel, Murmeltiere, an den Wänden Gamsköpfe und solche von Rehböcken, zahlreiche Geweihe, etliches Federvieh, mindestens zwei Wolpertinger, und in einer Ecke röhrte ein veritabler Sechzehnender mit brünftig herauspräpariertem Geschlechtsteil. Über unser Mahl schließlich wachte ein ebenfalls beachtlicher Hirschkopf.
Wir ließen es uns schmecken, tranken noch ein Bier und gingen dann ungewöhnlich zeitig zu Bett. Der Tag war anstrengend gewesen und der nächste würde es nicht minder.
3. August 2015 – Lenggries – Kolsass (79 km)
Das Hotelfrühstück im Arabella Brauneck ließ keine Wünsche offen. Es gab allerlei kleine Semmeln und Brezen, Wurst, Käse, Schinken, Obadztn, Eier- und Fleischsalat, vorgeweichtes Getreideschrot, Quark, Joghurt und Vanillecreme, Rostbratwürste, Rührei, auf der Zunge schmelzenden gerösteten Speck, Croissants, Schoko-Rotwein-Kuchen und vieles andere mehr. Wir konnten natürlich bei weitem nicht alles probieren, aber einiges davon gönnten wir uns doch.
Der erste Weg führte uns zu einem Schuhgeschäft, wo ich mir zusätzliche Löcher in meinen neuen Gürtel stanzen ließ, denn der Verkäufer auf der Auer Dult hatte meinen Leibesumfang deutlich unterschätzt und ich drohte, meine Shorts zu verlieren. Eine freundliche Schuhverkäuferin half dem ab.
Dann ging es über die Isarbrücke und auf der Straße weiter nach Wegscheid, dann ans östliche Isarufer und entlang der Bundesstraße zum Sylvensteinsee und weiter am Walchen entlang, dann auf der Achenseestraße oder ihrer Nähe, dann sehr schön am Ufer des Achensees. In einem netten kleinen Wirtsgarten am See machten wir Pause und tranken Cafelatte. Eine arabische Familie mit jungen Frauen in Kopftüchern und einer älteren im Tschador war auch da.
Hinter Maurach gab es eine kleine Verwirrung hinsichtlich des Wegverlaufs, aber so gelangten wir in den Genuss, die dampf- und rauchgetriebene Achensee-Zahnradbahn den Berg herauf keuchen zu sehen. Von da an ging es auf der serpentinenreichen Hauptstraße flott abwärts abwärts ins Inntal. Friederike brachte es auf 45, ich auf 59 km/h.
In der Nähe von Jenbach gelangten wir zum Inn und von da an ging es immer in Tuchfühlung mit Auto- oder Eisenbahn innaufwärts. Kurz hinter Schwaz, bei Terfens, wechselten wir ans rechte Innufer und kamen alsbald nach Kolsass und zur Pension Edelweiß, wo wir gebucht hatten. Ein Kuvert mit unserem Schlüssel hing schon an der Tür, die Rezeption war im Schreibwaren- und Andenkenladen unten im Haus, Zimmer und Bad waren einfach aber völlig in Ordnung. Wir machten uns frisch, wuschen etwas kleine Wäsche, ruhten uns aus und gingen dann hinaus, um das Gasthaus Steixner zu suchen, das ein Handzettel im Zimmer empfohlen hatte.
Zuerst suchten wir in Richtung Kirchplatz, dann fragte Friederike ein paar Jungs, die in einer Garage an ihren Mopeds bastelten. Sie meinten, das wäre ganz schön weit, den Berg rauf, drüben wieder runter, über den Bach, dann nach rechts. Die Anleitung stimmte, nach vielleicht 800 Metern waren wir da.
Der Gasthof war freundlich, das Essen gut die Gäste aus verschiedenen Ländern. Neben uns unterhielt ein freundlicher tiroler Bauer seine auswärtigen Freunde mit Geschichten aus der Gegend und verspeiste dabei einen beachtlichen Fleischspieß. Wir waren zufrieden und gingen zurück zur Pension.
2. August 2015 – Riemerling – Lenggries (59 km)
Den ersten Tag unserer Sommertour wollten wir ruhig angehen lassen und haben deshalb das Tagesziel nicht so weit gesteckt. So konnten wir in Ruhe frühstücken, aufräumen, die Fahrräder reisefertig machen und nach Mittag gemächlich losradeln.
Der erste Teil der Tagesetappe folgte wohlbekannten und häufig gefahrenen Wegen. Über Brunnthal und Otterloh ging es nach Sauerlach und dann, mit etwas zu viel sonntäglichem Trubel, entlang der Staatsstraße über Otterfing nach Holzkirchen. Dort dann durch ruhige Wohnstraßen am Zentrum vorbei und dann entlang der Bundesstraße weiter nach Großhartpenning. Langsam wurde es sonnig und voralpenländisch und, als wir die Bundesstraße verließen, auch ruhig. Kloster Reutberg war gut besucht, aber das reizte uns jetzt nicht.
Auf der Kreisstraße ging es weiter nach Kirchbichl, dann nach Tölz. Dort fuhren wir, verbotswidrig, aber gaanz langsam, die schmucke Altstadt hinunter, wo sich die Freischankflächen dicht an dicht reihen und allerhand los war. Wir überquerten die Isar und trafen auf den Isar-Radweg, dem wir flußaufwärts ein kurzes Stück folgten, bis eine Bank zur Rast einlud. Die Eier, die sich noch im Kühlschrank befanden, hatten wir, hartgekocht, mitgenommen, einige Camemberts hatten wir auch noch eingepackt, dazu etliche Scheiben Brot. Wir speisten mit Blick auf die Isar, wo große Schlauchboote mit stets gleich in gelben Helm und orangefarbene Schwimmweste gekleideten, etwas unkoordiniert paddelnden Besatzungen flussab trieben.
Weiter ging es durch schöne Aulandschaft mit Kiefern und Birken, bis wir schließlich Lenggries erreichten, wo wir vom Isarweg abzweigten, um zum Arabella Brauneck Hotel zu gelangen, wo wir für die Nacht gebucht hatten. Es erwies sich als etwas klotzig in den Ort gebaut, aber aus Sicht des Gastes völlig ok. Über die Tiefgarage ging es in den hinter schweren, selbstschließenden Türen etwas umständlich zu erreichenden Fahrradkeller, aber vom anschließenden Flur brachte uns ein Lift bis in unser Stockwerk. Wir richteten uns so weit ein, wie es für eine einzige Nacht nötig ist, duschten und machten uns dann auf die Suche nach Abendessen.
Beim Altwirt wurden wir fündig. Da gibt es sowohl Schweinsbraten, als auch explizit je ein vegetarisches (Pfifferling-Wirsing-Lasagne) und ein veganes Gericht, und das passte. Zum Abschluss schmeckte uns noch ein Aventinus, und das verleiht bekanntlich die nötige Bettschwere
Italien 2014 (19) Klagenfurt – Riemerling (21 km)
So zeitig sind wir die ganze Reise über nicht aufgestanden. Schon um Sieben, zu Beginn der Frühstückszeit, hatten wir größtenteils gepackt und bedienten uns an dem gut sortierten Buffet. Dann ließen wir uns den Fahrradraum aufsperren, schoben die Räder direkt vor die Zimmertür, packten auf und verließen das Hotel.
Das Navi führte uns netter Weise exakt auf der ausgeschilderten offiziellen Uni-Innenstadt-Route zum Bahnhof. Mit Aufzügen kamen wir zum Bahnsteig. Fahrkarten und Fahrrad-Reservierung hatten wir schon in Villach besorgt. Der Zug stand bereits da und wir fanden auch noch freie Sitzplätze im gleichen Wagen, in dem auch unsere Räder untergebracht waren, so dass wir sie im Auge behalten konnten.
Die Bahnfahrt ließ uns den ersten österreichischen Teil der Reise im Zeitraffer nochmal rückwärts erleben. Wir schauten hinaus, hörten dabei gemeinsam mit unseren Kopfhörern Musik und genossen die Reise in dem anfangs recht leeren Wagen, der sich von Halt zu Halt mit Menschen und Fahrrädern füllte. Am frühen Nachmittag waren wir am münchener Hauptbahnhof, und weil es nur ganz leicht regnete, radelten wir selbst heim, statt die S-Bahn zu nehmen. Die Strecke kam uns kurz vor, der sonst so steile Nockherberg, den wir hinauffuhren, fühlte sich nach all den Bergfahrten an, wie ein kleiner Buckel und bald standen die Räder auch schon vor der Garage und warteten auf Einlass. Der wurde ihnen allerdings erst nach einer Dusche mit dem Gartenschlauch gewährt, denn durch die Regentage dieser Reise hatte sich doch einiger Dreck angesetzt.
Italien 2014 (18) Villach – Klagenfurt (50 km)
Als wir aufwachten, sahen wir grauen Himmel und Regen. Das Frühstück in der Jugendherberge war in Ordnung, wenn auch nicht besonders vielfältig. Das angenehme an solchen Häusern ist der schnörkellose Pragmatismus. Es gibt, was man braucht, einfach, aber robust.
Wir starteten in voller Regenausrüstung, machten noch einen Besuch am Hauptplatz, mussten dann feststellen, dass die Zugänge von der Stadt zum Fluss meistens mit Treppen ausgestattet sind, und brauchten eine kleine Irrfahrt, bis wir auf dem Drau-Radweg waren. Der war zunächst geteert, später aus zementgebundenem Sand, mit kleinen, größeren und unumfahrbar großen Pfützen.
In Rosegg machten wir Halt und wärmten uns im Café Mitsche auf. Das war erstens eine angenehme Pause von dem beständig niedergehenden kräftigen Regen und zweitens auch ganz unterhaltsam, wegen der originellen Gäste und ihrer Dialoge.
Was den Drau-Radweg betraf, gaben wir an dieser Stelle auf und versuchten, auf kürzestem und schnellstem Weg nach Klagenfurt und in unser dortiges Hotel zu kommen. So fuhren wir auf der teilweise mit einem Radweg ausgestatteten Straße zum Wörthersee und dann auf der Südlichen Seestraße entlang.
In Klagenfurt fanden wir dann schnell das All-You-Need-Hotel, wo wir gebucht hatten. Es liegt im Uni-Viertel, ist top-modern, man wird mit routinierter Freundlichkeit empfangen und zu unserer besonderen Freude konnten wir über eine Rampe direkt zu dem Flur gelangen, an dem unser Zimmer liegt, konnten direkt vor der Zimmertür abladen und dann unsere Räder wenige Meter weiter in einem Abstellraum unterbringen. Wir stellten unsere Taschen zum Abtropfen auf den Balkon unseres Zimmers und richteten uns ein.
Ich genoss nach der kalten Dusche, unter der wir geradelt waren, nun ausgiebig die heiße Dusche im Bad, Friederike ging einkaufen und wir aßen Obst und Joghurt. Ein Linienbus brachte uns in die Innenstadt, die wir unter Schirmen besichtigten. Es gibt viele schmucke Häuser und nette Plätze, die ohne Regen oder gar bei Sonnenschein bestimmt noch sehr viel netter wären.
Das Lokal "Zum Augustin", das man uns im Hotel empfohlen hatte, wäre wohl laut aber nett gewesen, aber da bekamen wir keinen Platz. Also landeten wir bei bayerischem Bier im "Hofbräu zum Lindwurm" am Neuen Platz, wo auch dem Drachen ein Denkmal gesetzt ist, der nach der Sage einst die Sümpfe um Klagenfurt unsicher gemacht hat.
Es gab anständiges Standard-Wirtshausessen und uns wurde dabei keineswegs so, wie dieser Brunnenfigur am Denkmal des Stadtgründers Bernhard von Spanheim.
Aber wir saßen in einem zugegen Eck des Hofbräu und so gingen wir zum Abschluss doch nochmal zum Augustin und probierten die dortigen Biere, bis uns der Bus wieder zu unserer Unterkunft brachte, wo das letzte Hotelbett dieser Reise schon wartete.
Italien 2014 (17) Bohinj – Villach (16 km)
Die Heimreise beginnt. Der Tag fing mit schwergrauem Himmel im Tal und leichtem Nieselregen an. Beim Frühstück eine nette Unterhaltung mit einem in Dänemark lebenden Kroaten und seiner dänischen Frau. Er kannte sich in der Region gut aus und erzählte von Bergwanderungen, Freundschaftstreffen ehemaliger Bergkameraden und seiner Tätigkeit als Tourleiter in Grönland.
Als wir abfuhren, hatten sich erste Sonnenstrahlen gezeigt und in der Tat blieb es den ganzen Tag trocken. Die sieben Kilometer lange Fahrt nach Bohinj Bistrica lief auf der Hauptstraße flott, ohne Belästigungen und war in kürzester Zeit erledigt. Wir kauften in einem Supermarkt ein, genehmigten uns am Bahnhof einen Kaffee und brachten dann auf der bereits vom Vortag bekannten Wartebank die lange Zeit bis zur Abfahrt des Zuges zu.
Spannend war die Frage, ob uns der Zug auch wirklich mitsamt unseren Fahrrädern mitnehmen würde. Eine feste Zusicherung gab es nicht. Es kam ein Zug in Gegenrichtung, auf den einige Rucksackreisende gewartet hatten und mir schien, der Schaffner machte abweisende Gesten zum Stationsvorsteher hin, bis er verstand, dass wir nicht bei ihm mitfahren wollten. Es blieb spannend.
Als unser Zug, ebenso graffitiverziert, wie der vorherige, ankam, mussten wir schnell zur letzten Tür eilen, den größeren Teil unseres Gepäcks abladen, in aller Eile an Bord bringen, mit Hilfe des unwilligen Schaffners die Räder in den Wagon hieven und selbst einsteigen. Dann fuhr der Zug los, durch die bekannte schöne Berglandschaft Jesenice entgegen.
Dort hatten wir recht lange Aufenthalt, aber wenig Ambitionen zur Stadterkundung und so ließen wir uns in einem kleinen Park etwas abseits der Bahnhofstraße nieder und machten ausgiebig Brotzeit. In einem nahen Lokal gab es dann Kaffee und am Nebentisch einheimische Geschäftsleute mit zwei überlauten amerikanischen Kollegen, die zur Appetitanregung schon vor dem Essen Slivovitz tranken.
Frühzeitig gingen wir zum Bahnsteig, diesmal nicht brav treppab, treppauf, wie bei der Ankunft, sondern frech über den verbotenen Gleisübergang. Es gab Grund, zu zweifeln, ob wir problemlos mit dem Zug würden fahren können. Im Aushangfahrplan stand er als Eurocity ohne Fahrradbeförderung, aber die Fahrkartenverkäuferin beharrte auch auf Nachfrage. Als der Zug dann ankam, war er recht kurz und wir sahen keinen Gepäckwagen. Also bugsierten wir Räder und Gepäck an der letzten Tür auf die Plattform und ärgerten den slowenischen und den österreichischen Schaffner, die zur Übergabe an irgendwelche Schaltkästen mussten. Angeblich hätte es in der Zugmitte ein Fahrradabteil gegeben, das wir aber nicht gesehen hatten, und außerdem gäbe es eine Reservierungspflicht, von der man uns am Schalter auch nichts gesagt hatte. Am Ende ging es doch.
In Villach beschäftigten wir uns zuallererst damit, die Heimfahrt von Klagenfurt nach München zu sichern und fuhren dann zum "Jugend- und Familiengästehaus Villach", wo wir gebucht hatten. Das erwies sich als Jugendherberge neueren Stils, wo wir zu zweit ein Zimmer bekamen, das alles in allem auch fünf Leuten Platz geboten hätte. Mit Bad und allem, nur dass wir die Betten selbst beziehen mussten.
Nach etwas Suchen fanden wir im Hofwirt ein sehr originelles bodenständiges Lokal, wo wir mit Freude einer Gruppe Kartenspieler zuschauen konnten. Das Essen war nicht überragend, das Bier schmeckte uns auch hier. Dann fuhren wir zurück zur Unterkunft mit den heute mal etwas anderen Betten.