Springe zum Inhalt

Den Tag hatten wir uns anders vorgestellt. Am Vorabend hatten wir ein Appartement in Stettin gebucht und per Mail über die nicht genau vorhersagbare Ankunftszeit verhandelt. Wir wollten das kurze Stück nach Kamminke fahren, von dort nach Ueckermünde übersetzen und dann nach Stettin radeln. Doch es kam anders. Aber beginnen wir von vorne. 

Wir hatten ganz ordentlich geschlafen, morgens war der Himmel grau, zeitweise regnete es. Bis wir fertig waren, hatte es aufgehört. Wir packten auf und fuhren zuerst zu einem kleinen Laden, der uns am Vorabend aufgefallen war, weil er so nett und klein aussah, wie ein Geheimtipp. "Kaffee und Kuchen" stand auf Polnisch dran und das schien uns genau das Richtige für unser Frühstück. Wir gingen also hinein und waren schier überwältigt von der Auswahl. Wir wählten in Gedanken schon aus und als wir an der Reihe waren, bestellten wir zuerst Kaffee - und erhielten die sehr brüske Auskunft, Kaffee gebe es hier nicht. Kaffee nein! Eine polnische Kundin schien Anteil zu nehmen und zeigte auf das Ladenschild aber es blieb dabei: Kaffee nein. Also verzichteten wir auch auf das Gebäck auf das wir uns schon gefreut hatten und fuhren etwas angepisst weiter. 

An dem großen Platz, wo wir am Vortag im "Neptun" zu Abend gegessen und den Kellnern auf der Freifläche beim reichlichen Gebrauch von Insekten-Abwehrspray zugesehen hatten, fanden wir ein Café und frühstückten Apfelkuchen. Dann radelten wir los nach Kamminke. Das ging auch flott dahin, nur muss wohl ein Scherzbold bei OpenStreetMap den Grenzübergang falsch eingetragen haben, so dass wir ein ganzes Stück auf einem Trampelpfad fahren mussten, bis wir die kleine Grenzbrücke erreichten. Ich werde das in OSM korrigieren. 

Wir kamen zum kleinen Hafen von Kamminke und erwarteten häufigen Fährverkehr, wie ihn uns der Wirt in Anklam verheißen hatte. Wir fragten an einem Imbiss und wurden auf eine Tafel verwiesen, auf der je nach Wochentag eine bis drei Fahrten verzeichnet waren, die nächste um 16:15 Uhr. Es war illusorisch, nach der Überfahrt noch die über 50 km nacht Stettin radeln zu wollen, also buchten wir das bereits bezahlte Appartement in Stettin per SMS auf die folgende Nacht um und suchten ein Hotel in Ueckermünde. Wir fanden dann auch eines, allerdings beinahe zum Doppelten dessen, was wir sonst bezahlen. Dann schlossen wir uns den zahlreichen Müßiggängern an, die den Platz bevölkerten. Außer einem kleinen Badestrand und einem großen Imbiss gab es eigentlich nichts zu sehen und zu tun und dennoch kamen immer wieder Leute, stellten ihr Auto ab und fütterten den Parkscheinautomaten. Wir hingen mal hier herum, mal da, die Internet-Verbindung war überall gleich schlecht. Wir lasen, schrieben, aßen Matjessemmeln und versuchten so, die fünf Stunden bis zur Abfahrt herumzubringen. 

Schließlich kam das Boot, entließ zahlreiche Fußgänger und Radfahrer und nahm die wenigen Wartenden auf. Die Fahrt über das Stettiner Haff dauerte eine Stunde und zwanzig Minuten und kostete für uns beide und die Räder stattliche 48 Euro. Auch dies eine der Überraschungen dieses Tages. 

Das Hotel am Markt war schnell gefunden. Auf dem großen Platz waren Biertische und eine Bühne aufgebaut, eine Band machte Soundcheck und uns schwante Schlimmes. Während wir uns einrichteten, frisch machten und kleine Wäsche wuschen, begann das Konzert und übertraf alle Befürchtungen. Nichts gegen Rockmusik, die darf auch mal ordentlich laut sein. Aber was diese vier nicht mehr ganz jungen Herrschaften an ungewollten Verballhornungen bekannter Musiktitel darboten, war schwer zu ertragen und doch im weiten Umkreis nicht zu überhören. Die dümmlichen Conférencen des Sängers zwischen den Stücken machten es nicht besser. Die Speisekarte des Restaurants, zu dem unser Hotel gehörte, hatte uns eigentlich gut gefallen, aber von dieser Musik wollten wir unser Abendessen nicht begleiten lassen und so machten wir noch eine Ortsrunde, fanden aber keine Alternative und verzogen uns schließlich in einen Winkel am hinteren Ende des Lokals, wo der Sound von draußen kaum noch das Gedudel seichter Unterhaltungsmusik aus den Lautsprechern übertönte. Das Essen war gut, ließ aber noch Platz für eine Nachspeise. Auf unserem Zimmer hörten wir noch lange das Klappern vom Aufräumen der Biertische und -bänke und das Palavern der letzten Gäste.

Die Nacht war ruhig. Beim Frühstück im Souterrain trafen wir drei ältere Radler, eine Frau und zwei Männer, einer etwas tatterig, die aus Zittau aufgebrochen waren, wie sie stolz berichteten. Der Wirt gab bereitwillig Tipps für unsere weitere Reise und erzählte davon, wie er das Haus erworben und Stück für Stück umgebaut hatte. Bilder im Treppenhaus erinnerten an seine Zeit als Oberstleutnant der DDR-Luftwaffe. 

Der nächtliche Regen war vorbei und wir radelten los. Zuerst noch in die Stadt, um in einem Supermarkt Proviant zu kaufen, dann hinaus in die Landschaft. Dem Radweg Berlin - Usedom folgend fuhren wir zunächst auf einem guten Radweg entlang der Bundesstraße, überquerten so auch die Peine und gelangten nach Usedom, wo wir einen kurzen Abstecher in die Stadt machten. Dann ging es noch ein Stück weiter auf der Bundesstraße, aber schließlich zweigte der Weg ab und wir fuhren auf meist guten Straßen in leichten Wellen abseits des Verkehrs durch Wälder und über weite offene Flächen. Es war sehr warm und sonnig. 


Bei Bossin lud ein Rastplatz zur Brotzeit ein, dann ging es weiter. Schließlich überquerten wir ganz unspektakulär eine kleine Kanalbrücke und waren in Polen. War uns die polnische Sprache bis dahin nur in zweisprachigen Aufschriften begegnet, so hörten wir sie nun auch gesprochen und von Deutsch war nichts mehr zu hören und zu lesen, bis wir nach Swinemünde kamen, wohin sich in geringerer Zahl auch deutsche Touristen verirrt zu haben schienen. In unserem Hotel sprach man notdürftiges Englisch, der Empfang war etwas lustlos und die Ausstattung war vergleichsweise spartanisch, aber nicht zu beanstanden. Wir richteten uns ein, machten uns frisch und gingen hinaus, um den Strand zu suchen, denn Friederike wollte sich ein Bad in der Ostsee nicht entgehen lassen. 


An der Promenade bauliche Zeugen alter Strandbad-Herrlichkeit. Viele renoviert, einige noch in desolatem Zustand, dazwischen auch Neubauten. Der Weg von der Promenade zum Strand gesäumt von Imbissbuden, Fischbratereien, Eisständen, den typischen Läden für Souvenirs und Strandzubehör, Cocktailbars und Eisverkäufern. Ein Steg führte über die Düne und dahinter endloses buntes Strandleben wie man es kennt. Friederike schwamm eine Weile, ich schaute, wie fast immer, zu,  und beobachtete die Leute. Baden gehen ist nur sehr selten mein Fall. 

Nach einer weiteren Pause im Hotel liefen wir in Richtung Innenstadt und Hafen. Überall herrschte buntes Leben. Von einer Fähre strömten heimkehrende Pendler in die Stadt. Wir beendeten unseren Rundgang und gingen ins Restaurant "Neptun", das wir auf unserem Weg entdeckt hatten und das uns als solide und ortstypisch erschienen war. Die Kellnerin warnte uns sofort, dass es mit dem Essen etwas länger dauern könnte, aber wir blieben und warteten. Zuerst kam meine Suppe, ein Žurek, aus Sauerteig, Speck und Wurststücken, der mir recht gut schmeckte. Bis zum Hauptgericht ging dann noch eine Weile hin, aber Friederike war mit ihrem gebratenen Gemüse und den  Piroggen ebenso zufrieden, wie ich mit meinem gebackenen Eisbein mit dünner Knusperkruste. Dazu ließen wir uns polnisches Bier schmecken. 

Auf dem Heimweg schauten wir nochmal an der Promenade vorbei, wo es noch immer verlockend nach Räucherfisch duftete, aber wir waren ja schon satt. 

Der Tag begann mit Regen und der Wetterbericht verhieß Gewitter für den späten Vormittag und den frühen Abend. Das Zeitfenster für die Tagesetappe war also nicht sehr groß, aber wir hatten auch nur 55 Kilometer geplant.

Beim Frühstück saßen wir mitten in dem ganzen Busvolk und dessen Konversation übertönte bei weitem die übliche und immer lästige Dudelmusik, die ich überhaupt erst wahrnahm, als alle gegangen waren. Wir trödelten ein wenig, um das angekündigte Gewitter vorbeiziehen zu lassen.

Als wir schließlich vor die Tür traten, weil das Gewitter ausgeblieben war, begann es heftiger zu regnen, ließ dann aber nach und wir fuhren los. Der Peenetal-Rundweg hatte uns schon am Vortag mit seinen Schleifen und Richtungswechseln gefoppt und heute kam es nicht besser. Ich hatte mir einen vermeintlich günstigen Einstieg gesucht und mir dort den ersten Routenpunkt auf dem Navi gesetzt. Es ging zunächst auch wunderbar auf großen Betonplatten tatam, tatam, tatam, dahin in einen Wald, aber die angezeigte Querung einer Bahnstrecke erwies sich vor Ort als inexistent. So brachten wir die ersten zehn Kilometer dieser Tagesetappe mit unnötigem Hin und Zurück hinter uns und mussten dann zunächst auf dem gleichen Weg aus der Stadt hinaus, auf dem wir am Vortag gekommen waren. Schließlich gelangten wir dann doch auf den Rundweg, aber der machte uns auch an diesem Tag keine Freude, denn die Pfade, auf die er uns führte, waren sandig und aufgeweicht, so dass es Kraft kostete, voranzukommen. Manchmal waren sie so schmal, dass es kaum möglich war, Brennnesseln und Dornenzweigen auszuweichen, die sich anschickten, den Pfad zu überwuchern. Mit der Zeit wurde es sehr warm und die Luft war feucht, ein kräftiger Wind blies und trieb die zahlreichen Windräder an, die wir passierten, hinderte uns aber eher am Vorankommen zwischen den hoch stehenden Maisfeldern. Ich ließ mein Navi unbefestigte Wege meiden und so kamen wir auf asphaltierten Straßen etwas zügiger weiter, aber schließlich gerieten wir doch wieder auf eine Strecke, die zwar "befestigt" war, aber mit dem hier so häufig anzutreffenden Kopfsteinpflaster, das einen gehörig durchrüttelt. So verzichteten wir für das letzte Wegstück auf verkehrsarmes Routing und fuhren auf Bundesstraßen, wo wir bei wenig Autoverkehr und einigem Rückenwind glatt und flott dahinrollten und das sich in der Ferne zusammenballende Gewitter einigermaßen auf Abstand halten konnten. So gelangten wir ohne Regen nach Anklam und zu unserer Herberge.

Wir standen vor einem recht großen einem alten Haus mit hohen Zimmern, das ausweislich einer bebilderten Tafel schon vielerlei Funktionen beherbergt hatte, vom Lazarett über Polizeistation und Wehrkreiskommando. Auf unser Klingeln meldete sich von entferntem Ort per Telefon der Wirt, nannte unsere Zimmernummer, gab ein paar Instruktionen und öffnete dann aus der Ferne die Tür für uns.

Als wir uns in dem geräumigen Zimmer eingerichtet und geduscht hatten, lernten wir den Gastgeber auch persönlich kennen. Für unser Abendessen empfahl er ein nahe gelegenes griechisches Lokal und wir beschlossen,  dort unser Glück zu probieren. Allerdings war es uns noch zu früh, der Parkplatz des Griechen aber schon gut belegt, also bestellten wir im Vorbeigehen einen Tisch und liefen zur Stadtmitte. Es gab hier viel mehr Gastronomie, als in Demmin, auch etliche Eiscafes hatten geöffnet und die Stadt machte auf uns insgesamt einen recht freundlichen Eindruck. Viele Häuser waren hübsch renoviert, es gab allerdings auch viele leer stehende alte Wohnhäuser, halb hergerichtete "Renovierungsruinen" und hässliche alte Plattenbauten, an denen die moderne Nachwende-Wärmedämmung auch schon wieder schäbig geworden war.

Wir beendeten unseren kleinen Stadtrundgang etwas schneller, denn in der Ferne grollte Donner und der Himmel begann, sich zu verdunkeln. Als wir schon in Sichtweise des Griechen waren, entwickelte sich in kürzester Zeit ein Wolkenbruch, der uns, trotz Rennens, gut nass machte, ehe wir das Lokal erreicht hatten. Wir nahmen Platz, studierten die Speisekarte und bestellten einen Vorspeisenteller für zwei Personen und je ein Hauptgericht. Als erstes kam je ein Ouzo, dann eine riesige Platte mit Vorspeisen die uns vorzüglich schmeckten. Nur die rosafarbene Paste war leider kein Taramas, sondern eine scharf gewürzte Käsezubereitung, was enttäuschend war, und die Weinblätter enthielten Hackfleisch, statt Reis, was nur dem nichtvegetarischen Teil unserer Reisegruppe mundete. Insgesamt jedoch entsprach diese Vorspeisenplatte schon fast einer ganzen Mahlzeit. Umso erwartungsvoller blickten wir den Hauptgerichten entgegen, gebackenen Tintenfischringen mit Tsatziki und Reis, bzw. Lammkeule mit dicken Bohnen und Reis. Man hätte uns warnen sollen, denn auch das war alles vorzüglich, aber insgesamt einfach zu viel, da half auch ein zweiter Ouzo nicht, den die Wirtin spendierte. Draußen hatte es aufgehört zu regnen und so kamen wir trocken zurück ins Hotel.

Ein Tag im Nieselregen. Morgens zeigte sich der Himmel einheitlich grau, das Vordach unterhalb unseres Fensters war nass vom nächtlichen Regen. Jetzt, am Morgen, machte der Regen eine Pause. Das Frühstück war vielfältig und reichhaltig und wir staunten, wie viele Gäste da waren, denn das Haus war eigentlich ruhig gewesen. 

Die Wege die wir an diesem Tag nahmen, waren vielfältig, wie am Vortag. Hinzu kam ein noch häufigeres Auf und Ab, aber es zeigte sich, dass wir schon ganz gut im Training sind, denn die meisten Steigungen fuhren wir zügig hinauf. Das Wetter spielte mit uns. Wiederholt fing es leicht zu nieseln an, wurde stärker, bis ich die große Plastiktüte herausholte, um meine Lenkertasche zu schützen, hörte dann bald wieder auf, so dass ich die Tüte nach einer Weile wieder abnahm, um die Feuchtigkeit vom Anfang von der Tasche abtrocknen zu lassen, worauf es bald erneut zu nieseln begann, zunehmend stärker wurde und so weiter. Zum Glück war es einigermaßen warm und ich verzichtete auf Regenkleidung, weil sich die Feuchtigkeit vom Schwitzen nicht wirklich von der durch den Regen unterscheiden ließ. 

Die erste Etappe führte uns vorwiegend durch waldige Gegend nach Waren (Müritz), wo gerade ein Stadtlauf im Gange war und samstagvormittägliches Treiben auf den Plätzen. Wir suchten einen Fahrradladen auf, dessen Werbung wir unterwegs gesehen hatten, und ich besorgte mir ein Fläschchen Kettenöl, denn Sand und Wasser hatten meiner Kette ein wenig zugesetzt, die seit einiger Zeit ohne Vollverkleidung läuft. Ich brachte das Öl gleich zum Einsatz und hatte den Eindruck, dass die Kette sofort wieder leichter lief. 

Von Waren ging es weiter nach Malchin, dann auf einem Teilstück des Peenetal-Rundwegs auf den Kummerower See zu und an diesem entlang. In einem Bus-Wartehäuschen machten wir Brotzeit und wunderten uns über die vielen verschiedenen alten amerikanischen Autos, die vorbeifuhren. Auf unserem weiteren Weg sahen wir dann auch einen Wegweiser zu einem US-Cars-Treffen. 

Das letzte Stück des Weges bis nach Demmin zog sich dann noch etwa in die Länge, aber schließlich waren wir da, drehten eine Runde durch die Stadt, fanden sie aber stimmungsmäßig wenig einladend und vermissten auch Lokale, in die wir gerne zum Abendessen gegangen wären. Also fuhren wir noch ein Stück aus dem Ort hinaus bis zu unserem Hotel. Das lag etwas erhöht und so hatten wir einen weiten Blick, zwar nicht über die Stadt, aber über die Landschaft. 

Wir duschten, hängten unsere Kleider zum Trocknen auf, ruhten ein Wenig und gingen dann hinunter zum Essen. Die Reisenden, deren Bus vor dem Haus stand, saßen lärmend im Frühstücksraum. An den Nebentischen im Restaurant wurde ebenfalls lautstark palavert. Ich probierte nochmal Sauerfleisch, wie schon am Vortag  in Federow. Diesmal waren es keine gewachsenen Stücke von der Surhaxe (Eisbein) mit kleinen Stückchen Aspik obendrauf, sondern eine gestürzte Terrine kleinzerteiltes Pökelfleisch in Aspik. Dazu, wie am Vortag, eine schmackhafte Zubereitung aus Stückchen von Essiggurken, Apfel und Zwiebeln in Sauerrahm oder Joghurt, so wie Matjessalat ohne Matjes. Dazu in diesem Fall ein beinahe unanständig großer Haufen Bratkartoffeln. Friederike hatte einen Berg gegrilltes Gemüse, das als vegetarisches Gericht auf der Karte stand, aber ungeachtet dessen ein paar verirrte Speckwürfel enthielt. Das alles war mehr viel, als gut, aber auch nicht wirklich schlecht. Von unserem Zimmer aus hörten wir noch eine Weile einige späte Zecher von der überdachten Terrasse unter unserem Fenster, aber schließlich gingen auch die zu Bett.

Der Himmel sah am Morgen ganz erfreulich aus und wir schöpften Hoffnung, dass die Wirklichkeit den Wetterbericht Lügen strafen würde, der für den späteren Nachmittag Gewitter vorausgesagt hatte.

Zum Frühstück hatten sich auch etliche Pfadfinder-Senioren eingefunden, die wohl ein bequemes Bett und sanitären Komfort dem Lagerleben vorzogen. Einige trugen ordnungsgemäß gebügelte Kluft und sorgfältig gefaltete Halstücher, ganz anders, als die Jugend, die wir am Vortag bei der Eröffnungsfeier gesehen hatten.

Wir packten, stellten wieder einmal fest, dass sich die Fahrradtaschen von Tag zu Tag unterschiedlich groß und schwer anfühlten, füllten unsere Wasserflaschen am Hahn, bezahlten und brachen auf. Bei einer kleinen Bäckerei in der Nähe holte Friederike noch Semmeln, dann ging es hinaus aus dem Ort.

Den größten Teil des Tages bewegten wir uns zwischen Seen, aber kaum je fuhren wir direkt am Ufer entlang, denn meist führte der Weg auf erhobenen Geländerücken durch die Wälder und die Seen erblickten wir nur gelegentlich, etwas weiter unten und einige sah ich überhaupt nur auf dem Navi, das uns leitete.

An diesem Tag gab es viele Arten von Wegen. Holprige Waldpfade durch große Kiefernwälder, auf und ab und schräg über Wurzeln, so dass wir achtgeben mussten, nicht seitlich abzugleiten oder den schmalen Pfad zu verfehlen. Es gab tiefsandige Waldstraßen, in denen man so ins Schwimmen kam, dass sie nicht wirklich befahrbar waren, aber da war dann über lange Strecken gleich daneben ein schmaler, oft gewundener Pfad mit festerem Untergrund, wie ein straßenbegleitender Radweg, wenn auch sehr primitiv. Es gab ganz schmale Wege mit Brennnesseln und Dornen auf beiden Seiten, wo man bei Gegenverkehr eine schmerzfreie Stelle zum Ausweichen finden musste. Es gab endlos lange Wege aus kleinen, verzahnten Betonsteinen, wo wir uns fragten, wer die wohl verlegt haben mochte und ob es dafür schon Maschinen gibt. In Ortschaften gab es oft grobes, rüttelndes Steinpflaster. Wir fuhren auf langen Bändern schmaler Betonplatten, in zwei parallelen Streifen verlegt, wie die Reifenspuren von Feldstraßen, mit Gras dazwischen oder grobem Kieselpflaster oder Sand, der manchmal tief ausgewaschen war, so dass man ins Straucheln kam, wenn man den Betonstreifen verfehlte. Es gab keinen Sturz auf diesen seltsamen Wegen, aber einige prekäre Stunts. Die Strecke war auch nicht so eben, wie man vielleicht hätte erwarten können, aber es ging meist eher milde auf und ab, so dass wir nicht aus dem Sattel mussten. Natürlich gab es auch ganz normale Straßen, die wenig befahren waren, nur zum Feierabend hatten es einige Autofahrer unsinnig eilig, ins Wochenende zu kommen und überholten knapper, als es uns lieb sein konnte. Zeitweise gab es kräftigen Wind, von vorne, in überraschenden Böen von der Seite und manchmal auch freundlich unterstützend von hinten.

So kamen wir insgesamt doch ganz zügig voran. In Babke machten wir auf einer Bank gegenüber der kleinen Kirche Brotzeit, in Ankershagen kehrten wir zu Apfelschorle in einem Lokal namens Silberschälchen ein, wo man uns gerne auch zum Abendessen da behalten hätte, aber wir wollten noch weiter. Mal kamen Wolken und ließen einen kurzen kleinen Regenschauer auf uns nieder, dann zog es etwas dunkler am Himmel auf, wir zählten die letzten Kilometer herunter, zehn, sieben, fünf, vier, drei, zwei, eins und schon waren wir auf der herrschaftlichen kleinen Zufahrt zum "Alten Gutshaus Federow", wo wir gebucht hatten. Einen Tic über unserer üblichen Preisklasse, aber das Zimmer sehr geräumig, das Bad, bis auf die immer zu wenigen Handtuchhaken, sehr komfortabel, auch das Essen im Restaurant recht gut und das auch hier servierte Köstritzer Schwarzbier sehr angenehm. Wir recherchierten noch eine Weile Routen und Unterkunft für die nächsten Etappen und beschlossen den Tag. 

Der Tag begrüßte uns mit Sonnenschein und großen Flecken blauen Himmels. Beim Frühstück trafen wir die beiden Damen wieder, die uns am Vortag mehrmals begegnet waren. Schon am Vorabend hatten wir im Schuppen ihre Räder gesehen. 

Im ersten Teil der Tagesetappe ging es durch Seenlandschaft. Wir wunderten uns ein Wenig über die Namen "Kinderstich", "Zimmermannstich", "Radkestich" und viele solche "Stiche" mehr. Die Erklärung lieferte Wikipedia: Hier wurde früher Ton gestochen, übrig geblieben waren die wassegefüllten Gruben und in der Tat sahen wir einmal auch einen riesigen alten Ziegelofen, der in der ehemaligen Ziegelei "Rote Burg" als Museumsstück erhalten wurde.

Dann folgte unsere Route dem Ufer des "Großen Wentowsees" und bei Fischerwall verließen wir den Fernradweg Berlin-Kopenhagen, gelangten zum "Kleinen Wentowsee" und fuhren nach der Wegweisung von OpenStreetMap weiter auf unser Tagesziel zu. Bald kamen wir in einen riesigen Kiefernwald. Auf der Karte sahen wir links und rechts große Seen und auch die Sandstraße, auf der wir mittlerweile fuhren, hatte sich durch die Niederschläge des Sommers in eine Seenplatte verwandelt, durch die nicht leicht zu manövrieren war. Ich fürchtete schon, wir müssten schließlich umkehren, aber ein entgegenkommendes Postauto und einige Jeeps von Forstleuten machten mir Mut. Aus den reinen Kiefernbeständen wurde Mischwald und schließlich erreichten wir wieder eine feste Straße und bald auch Kleinzerlang, wo wir im "Lindengarten" gebucht hatten.

Wir bezogen ein nettes Zimmer, mit Zugang von einer Terrasse her, wo unsere Räder gegen eventuellen Regen geschützt stehen konnten. Es gab auch einen kurzen Guss, aber der war schnell wieder vorbei und nachdem Tochter Pia sich gemeldet hatte, fuhren wir noch die dreieinhalb Kilometer nach Großzerlang, wo heute Eröffnung des Bundeslagers 2017 des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder sein sollte. Einen Teil davon bekamen wir noch mit, trafen Pia und einige ihrer Freunde, erhielten eine kleine Führung über den riesigen Zeltplatz mit 5500 Bewohnern, beeindruckenden Lagerbauten und vielen fröhlichen Menschen und fuhren dann wieder zurück in unser Hotel.

Da gab es auch bald Abendessen, deutsche Küche ohne Besonderheit, und während wir noch beim Köstritzer Schwarzbier saßen, sammelte sich an einem Tisch im Garten eine Gruppe Altpfadfinder*innen, die wohl, wie wir, ein gepflegtes Hotelzimmer dem urigen Lagerleben vorzogen. Den Rest des Köstritzer nahmen wir mit aufs Zimmer und beendeten dort diesen Reisetag. 

Ein Tag im Regen. Bereits beim Aufwachen hörten wir es auf die großen alten Bäume des Jonannisstifts prasseln. Wir frühstückten, packten, zogen alles an, was wir an Regenkleidung hatten, trugen unser Gepäck den endlos langen Flur entlang bis zum Ausgang (bei der Ankunft hatten wir uns einen der Gepäck-Trolleys von der Rezeption genommen) holten unsere Räder aus dem Holzschuppen, den sie hier "Radhaus" nennen, bezahlten, packten auf und fuhren los.

Der Weg war eigentlich großenteils  sehr schön und wäre bei gutem Wetter sicher wunderbar gewesen. Es ging durch Auwälder, kleine Siedlungen, fast immer in Flussauen oder an Kanälen entlang. Meist war der Weg geteert, selten sandig, aber auf diesen Stücken sammelten unsere Reifen den feuchten märkischen Sand auf, meine Kette knirschte und alles überzog sich mit einer feinen Sandschicht.

An diesem Tag waren auf dem Fernradweg D11 (Rostock - Freilassing) nur die Hartgesottenen unterwegs. Mit Entgegenkommenden tauschte man anerkennende und ermutigende Rufe aus. Einige waren auch in unserer Richtung unterwegs. Wiederholt trafen wir zwei ältere Damen und auch ein Paar in den Dreißigern. Der Mann zog einen Trailer hinter sich her. Zuletzt sahen wir sie bei einer Schutzhütte ihre Kleider wechseln, die wohl ebenso durchnässt waren, wie unsere. Als wir einen kleinen Rastpavillon gefunden hatten, in dessen Schutz wir Brotzeit machen konnten, zogen die beiden alten Ladies vorbei. Sie verschmähten unsere Einladung, auch bei uns Halt zu machen und riefen, sie suchten lieber ein Café. Wir haben den ganzen Tag kein passendes gefunden und so unterblieb die übliche Kaffeepause.

Am Ende der Tagesetappe weitete die Landschaft sich nach links zu beinahe parkartig, mit Baumgruppen in weitem Grasland und versteutem Buschwerk. Kleine Herden von Rindern und Pferden standen im Landregen. Schließlich verließen wir die Flusslanschaft, fuhren ein kleines Stückchen bergauf, durch eine Siedlung und gelangten schließlich zum "Hotel am Stadtpark", fern jedes Stadtparks, wo wir ein Zimmer gebucht hatten.

Das dringendste Bedürfnis, nachdem wir abgeladen, unsere Räder untergestellt und das Gepäck ins Zimmer gebracht hatten, war, die völlig durchnässten Kleider loszuwerden. Ich konnte nicht zwischen Regennässe und dem Schweiß unterscheiden, der sich unter den Regenkleidern gebildet hatte und wusch kurzerhand fast alles, was ich getragen hatte. Das Waschbecken war zu diesem Zweck ein Wenig popelig, die Dusche danach war gut. Wir ruhten eine Weile aus, nutzten das WLAN, denn das Funknetz war in dieser Gegend eher dünn, forschten nach geeigneten Restaurants zum Abendessen und machten uns schließlich zu Fuß im leichten Regen auf den Weg in die Ortsmitte.

Das Zentrum von Zehdenick besteht aus langen schmalen Straßen mit zweigeschossigen Häusern, einem schmucken Rathaus einigen deutschen Kneipen, asiatischen und türkischen Grills, Darts- und Billardsalons, Sportsbars. Wir gingen bis an den Bootshafen, der hier "Marina Zehdenick" heißt und wo es ein Lokal namens "Da Vinci" gab, das uns vertrauenswürdig erschien.

Drin ein sehr junger, sehr freundlicher griechischer Kellner mit trainingsgestähltem Bizeps, etliche Familien und Gruppen von Bootfahrern, die wohl urlaubshalber über die Seen und Kanäle schippern und in der Marina Halt gemacht hatten, einige Prolls darunter, aber auch eine nette Gruppe mit verschiedenfarbigen Jugendlichen. Das Essen in Ordnung, aber etwa so italienisch, wie es die Entfernung zur Adria erwarten lässt. Dazu Radeberger und zum Schluss noch eine Grappa aufs Haus. Unterdessen hatte es zu regnen aufgehört und sogar die späte Sonne hatte mir beim Essen vom Abendrot her ins Gesicht geschienen. Durch den abendstillen Ort gingen wir zurück zum Hotel. Wie die Straße vor dem Haus sind auch andere Straßen in der Siedlung sandgedeckt und nicht geteert. 

In der Nacht hatte es geregnet. Gerade einmal elf Grad zeigte das Thermometer am Morgen. Wir holten die warmen Jacken aus den schon gepackten Fahrradtaschen. Auf dem Weg zum Bahnhof zum Glück kein Regen. In der S-Bahn eine sehr nette ältere Mutter mit einem goldigen kleinen Mädchen, dem sie alle Bagger und Kräne auf dem Weg zeigte. Am Hauptbahnhof ein kaputter Aufzug, aber wir können Rolltreppe, auch mit schwer beladenen Rädern.

So ein durchgehender Zug mit Fahrradabteil von München nach Berlin ist eine feine Sache. Noch feiner wäre es, wenn die Fahrradhalterungen auch für Räder mit etwas dickeren Reifen gemacht wären, wenn der Einstieg eben wäre und wenn einen der Wagenstandsanzeiger nicht ans vordere Ende des Zuges schicken würde, während der Wagen 5 in Wirklichkeit, entgegen der fortlaufenden Nummerierung, ganz hinten zu finden ist - ein höchst unterhaltsamer Scherz, den schon die Wiseguys in ihrem Bahnlied besingen.

Der Zug nur spärlich besetzt. An den ersten Stationen stiegen ein paar stark riechende Personen ein. Da war es dann voll genug. Draußen war es trüb und regnerisch. Der Zug nahm ab Nürnberg einen unerwarteten Weg und so gelangten wir nach Würzburg und Fulda, bevor wir in Erfurt mit etwas Verspätung wieder auf den normalen Linienweg kamen.

Mit vergleichsweise wenig Verspätung kamen wir in Berlin Mitte an. Der erste Aufzug war kaputt, aber wir können ja Rolltreppe. Europaplatz, flüchtiger Blick auf Bundestag und Kanzlerinnenamt, dann um den Bahnhof herum und weiter Richtung Spandau. Fast immer am Wasser entlang. Am anderen Ufer Industrie, Thyssen. Dann kilometerlang links Wasser, rechts Laubenpieper-Datschen. Plötzensee. Auf dem Kanal Kanuten beim Ballspiel. Tegeler See. Schließlich das Evangelische Johannisstift, ein weiträumiges Gelände mit Backsteinbauten, einer großen Kirche und altem Baumbestand. Mittendrin das Hotel Christophorus, wo wir gebucht hatten

Freundlicher Empfang, komfortables Zimmer, zum Abendessen Suppe nach Hildegard von Bingen und ein paar exotische Kleinigkeiten. Nudeln mit Schweinegeschnetzeltem waren aus. Der Salat mit Scheiben vom Roarbeaf und einem Schälchen Chutney war gut und, ergänzt durch ein paar Scheiben Brot, auch ausreichend. Das Havelbräu ungewohnt, aber durchaus trinkbar. Der Kellner kugelrund, mit berliner Schnauze. Im Freien saßen, die Kälte nicht achtend, vier ältere Damen und gaben sich mit Wein ordentlich die Kante, so dass ihr Abgang am Ende etwas unordentlich war und sie, einander führend, lange miteinander und mit dem Kellner über den richtigen Weg nach Hause debattierten.

Wir gingen in unser Zimmer, wo nebenan, nur durch eine Tür getrennt, einer lange in süddeutschem Tonfall mit der Heimat telefonierte, so dass wir jedes Wort verstehen konnten. Irgendwann hörte er auf und wir konnten schlafen.