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Der Wirt im Regina hat solche Angst davor, dass seine Gäste die Matratzen verschmutzen, dass er sie unter dem Laken mit einer Plastikfolie überzieht. Das schont zwar das Inventar, trägt ihm aber bei uns gehörig Minuspunkte im Komfortbereich ein. Auf Plastikfolie zu liegen ist "never go there again". Außerdem hatte das Doppelbett eine starke Tendenz zur Mitte, irgendwo gab es auch noch Maschinenlärm, der Kühlschrank machte Geräusche, der Durchlauferhitzer fauchte und so hatten wir 'in somma' eine unruhige Nacht.

Morgens brachten wir unsere Räder hinaus, die wir über Nacht ins Appartement geholt hatten, packten auf und fuhren zum Frühstück in die Altstadt. Auf einem Nebenplatz der Piazza dei Cavalli setzten wir uns vor eine Bar, bestellten Cappuccino und Hörnchen, hörten den chiacchierate am Nachbartisch zu und freuten uns über unser erstes italienisches Barfrühstück auf dieser Reise.

Piacenza - Piazza dei Cavalli

Dann besichtigten wir noch den Palazzo Gotico und den Dom und verließen schließlich über eine weit den Po überspannende Brücke die Stadt. Auf der anderen Seite, bei einem scheußlichen Gewerbegebiet, gab es widersprüchliche Wegweiser und wir wandten uns dem Fluss zu. Zunächst gab es noch Kraftwerke und ein verwirrendes Netz großer Stromleitungen, später fuhren wir weite Strecken auf Dämmen entlang und blickten über die weite, völlig flache Ebene, hinab auf den Fluss, auf Kanäle, auf frisch geeggte Äcker, auf eben ergrünende Felder, auf Hühnerfarmen, übelriechende Schweinemästereien und immer wieder Pappelplantagen in verschiedenen Entwicklungsstufen von der frischen Pflanzung bis zu Ernte und Abtransport.

Pappelplantagen am Po

Die Radwege waren meist geteert, manchmal aber auch holprig und mit ordentlichen Schlaglöchern, denen wir im Slalom zu entgehen versuchten, bisweilen staubig, so dass die wenigen Autos, die uns begegneten, große Staubfahnen hinter sich herzogen. Erfreulich selten mussten wir auf stärker befahrenen Autostraßen entlang.

Damm-Radweg am Po

An einem höher gelegenen Punkt des Po-Dammes gab es Tische und Bänke. Wir ließen uns zur Brotzeit nieder und verspeisten die letzten Reste Käse und Brot von daheim. Ein Stück weiter machten wir an der Piazza eines kleinen Ortes Halt und tranken Cappuccino. Es war recht warm, meist sonnig und auf unserem mäandernden Weg kam der Wind mal von vorne, mal von hinten. Wir hatten einen höheren Wasserbedarf, als erwartet und bald gingen unsere Vorräte zur Neige. Der Weg war nicht ungewöhnlich weit und auch fast völlig eben, aber die ungewohnte Temperatur machte uns doch zu schaffen und so waren wir froh, am Nachmittag Cremona zu erreichen.

Cremona - Piazza Stradivari

Der erste Stop galt einem Supermarkt, wo wir Wasser und Proviant besorgten. Draußen stand, wie vielerorts, ein Schwarzafrikaner und bot allen an, ihre Einkaufswagen aufzuräumen, wenn er den Pfand-Euro behalten dürfte. Die Italiener*innen sind da überraschend großzügig.

Unterwegs hatte mich eine Nachricht unserer gebuchten Unterkunft erreicht, die in einigermaßen miserablem Englisch Probleme mit unserem Checkin mitzuteilen versuchte. Ich schrieb zurück, wir würden gegen 17h da sein und erhielt zur Antwort, um 18h könne uns jemand einchecken. Wir setzen uns auf die steinernen Stufen des Doms, gingen abwechselnd hinein in sein prunkvoll düsteres Inneres, gönnten uns Eis von der nahen Gelateria und beobachteten die Menschen auf dem Domplatz. Eher selten würden in Deutschland Mütter mit ihren jüngeren Kindern spätnachmittags auf den Platz vor der Kathedrale gehen, damit sie dort tollen, Ball spielen, seilhüpfen und sich müde rennen. Auch darum liebe ich Italien.

Cremona - Piazza del Comune mit Dom und Baptisterium

Gegen 18 Uhr schließlich fuhren wir noch das kurze Stück zu unserer Unterkunft, aber auf unser Läuten reagierte niemand. Nach einiger Zeit rief ich die Telefonnummer an, die am Türschild stand. Ein Signore entschuldigte sich und versprach, dass seine collaboratrice bald eintreffen würde. Es dauerte nochmal zwanzig Minuten und ein weiteres Telefonat, bis eine abgehetzte junge Frau eintraf und uns einließ. Le stanze di Anna ist ein nettes Maisonette-Appartement an einem ruhigen und abgeschlossenen Innenhof. Bis auf die Verzögerung genau das Richtige für uns.

Cremona - Via XI Febbraio

Später gondelten wir noch etwas durch die abendliche Stadt und fanden schließlich in der Via Bordigallo, gegenüber dem Laden eines Geigenbauers - schließlich ist Cremona berühmt für dieses Handwerk - das Lokal Bolero, wo wir angenehm im Freien speisten. Dann radelten wir zurück. Die Nacht dürfen unsere Räder im Haus verbringen.

11.04.17 Piacenza-Cremona Track

Schon am Vorabend hatten wir gepackt und alles hergerichtet, so dass wir am Morgen schnell reisefertig waren. Bei Sonnenschein und erträglicher Temperatur radelten wir schon vor acht Uhr los in Richtung Hauptbahnhof. Das ging ganz flott und wir staunten, wie viele Radler im morgendlichen Berufsverkehr unterwegs waren, aber auch darüber, wie verbissen manche Leute fahren.

Bald nachdem wir am Bahnhof angekommen waren, rollte auch schon der Zug heran. Wir brachten unser Gepäck zu den reservierten Plätzen und die Fahrräder in den Gepäckwagen. Der Zug war ziemlich ausgebucht und es war, wie immer, zu wenig Platz für Koffer und Taschen aller Reisenden.

Sonst ging es ohne besondere Vorkommnisse nach Kufstein, dann hinauf zum Brenner und schließlich nach Bologna. Dort einzeln in viel zu kleinen Aufzügen hinunter vom Bahnsteig und hinauf ins Gewimmel der Schalterhalle, um Tickets für die Weiterfahrt zu holen. Zunächst war alles etwas verwirrend und die Fahrkartenautomaten umlagert, auch schlichen ein paar zwielichtige Gestalten herum, aber am Ende fanden wir einen Automaten in einer etwas ruhigeren Ecke, wo wir einerseits Räder und Gepäck unter Kontrolle haben und uns anderseits auch in Ruhe mit dem Ticketkauf beschäftigen konnten. Dann fuhren wir wieder mit den Aufzügen hinunter und hinauf zum Bahnsteig, wo sich mit der Zeit außer uns auch zahlreiche Pendler einfanden. Der Zug versprach voll zu werden.

Ich fragte einen Eisenbahner, wo voraussichtlich der Wagen mit dem Fahrradabteil halten würde, damit wir uns schon einmal in eine günstige Ausgangsposition bringen konnten. So waren wir, als der Zug einfuhr, zwar am richtigen Ende, aber der Zug war kürzer, als erwartet. Alle liefen hinterher und am Einstieg bildete sich eine große Menschentraube. Auch ein paar weitere Fahrräder waren dabei.

Wir schafften es zwar in den Zug, aber dann waren wir eingekeilt, unter anderem von drei Schaffnern, die uns energisch beschieden, wir müssten unsere Räder senkrecht an die vorgesehenen Haken hängen und die nicht einsehen wollten, dass sie selbst es waren die uns die nötige Bewegungsfreiheit nahmen, ihrer Aufforderung nachzukommen. Als sie sich dann endlich verzogen hatten, lud ich mein Gepäck ab und hängte mein Rad auf, aber es war wieder einmal länger als vorgesehen, so dass es schief hing und das Schutzblech am Boden schleifte. Man scheint hier keine Reiseräder zu kennen und es gibt viel zu wenig Platz. Wieder einmal.

Ein fliegender Blumenhändler und ein paar Schwarzafrikaner spielten Katz und Maus mit den Schaffnern und von der nahen hochmodernen Toilette her fiepte unaufhörlich ein schriller Alarmton, den ein dicker Schaffner trotz telefonischer Unterstützung nicht abstellen konnte. Langsam leerte sich schließlich der Zug und vor Piacenza konnten wir gemütlich im Einstiegsraum aufpacken, so dass wir dann auch schnell und problemlos aus dem Zug kamen. Das im Voraus gebuchte Hotel hatte ich schon in mein Navi eingetragen und so kamen wir zügig hin. Als hätte er schon auf uns gewartet, winkte uns der dicke Portier aus der Toreinfahrt herbei, als wir die Straße erreicht hatten. Die Residence Regina war für unsere Zwecke ganz gut geeignet, denn beidseits eines langen Innenhofs gibt es ebenerdig zugängliche Appartements, so dass wir unsere Räder nachts mit hereinnehmen konnten.

Wir richteten uns ein und machten uns etwas frisch, dann fuhren wir wieder hinaus in die laue Nacht, nochmal dem Stadtzentrum zu, um etwas zu  Essen zu suchen. An der Piazza dei Cavalli fanden wir das Ristorante Al Duca und speisten zwar nicht so fürstlich, wie der Name andeutete, auch nicht besonders reichlich, aber doch sehr annehmbar und mit Blick auf den abendlichen Platz mit den beiden Reiterstandbildern.