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Die Nacht im Hotel Kasina war nicht ganz störungsfrei. Draußen tropfte es kontinuierlich aufs Fensterbrett und irgendwo rauschte ein großes Gebläse. Von Zeit zu Zeit klopften Spätheimkehrer kräftig an Türen, um von ihren bereits schlafenden Zimmergenossen eingelassen zu werden. Im Zimmer der Mädels ließ sich die Tür zum Balkon mit dem imposanten Stadtblick nicht recht schließen ließ, so dass es kalt hereinzog. Andererseits waren wir müde genug von der Zugfahrt  und deren physische Erinnerung rüttelte mich sanft durch die Nacht.

Morgens schneite es leicht und die Dächer waren mit einer dünnen Schneeschicht überzogen. Das Frühstücksbuffett im riesigen, leeren, kalt neonerleuchten Speisesaal war ohne Sensationen und der Kaffee gänzlich ungefährlich. Wir frühstückten und planten den Besichtigungstag.

Draußen erwarteten uns Schnee und glitschiger Matsch. Zuerst liefen wir zur Aleksandar-Nevski-Kirche, wo wir angenehm mit dem Rücken an einem Heizkörper saßen, die weiße Ikonostase vor uns, und den Gläubigen zusahen, die vor einzelnen Pulten innehielten und die dort liegenden Ikonen betrachteten, dann küssten, um zu einer anderen Ikone weiterzugehen, dann zu einem Kruzifix, auch dieses verehrten und küssten und schließlich, sich bekreuzigend, den Raum wieder verließen. Es gab Pulte mit fest eingebauten Ikonen, die an jeder Seite einen Münzschlitz hatten und andere, wo die Bilder lose auflagen und kein Münzeinwurf vorgesehen war. Nach einer Weile kam ein schwarz gekleideter junger Mann, der offenbar für die Kirche zuständig war. Er entfernte eine Blume, die bei einer Ikone abgelegt war und nahm Münzen, die jemand unter eines der lose liegenden Bildnisse geschoben hatte, und brachte sie zu einer Ikone mit Münzschlitz. So ist es wohl überall: die Gläubigen widmen Gebete und Gaben voller Bedacht, aus der Sicht der Diener des Tempels ist alles der gleiche Topf.

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Friederike versuchte, das Tarifsystem der öffentlichen Verkehrsmittel zu erkunden und da es sich dem Fremden nicht so leicht erschließt, fuhren wir zu viert zum Preis von einem mit der Ring-Trambahn Nr. 2 zur Sava-Kirche. Eigentlich handelt es sich um eine Kirchenbaustelle, an der seit den 1930er Jahren gearbeitet wird. Der Bau, großenteils aus Beton, steht, von der Innendekoration existieren bislang nur Andeutungen. Kurz statteten wir noch der Nationalbibliothek nebenan einen Besuch ab, dann fuhren wir, diesmal richtig bezahlend, zur Sankt-Michaels-Kirche. Die war prunkvoll, aber eng, und überall standen Betende vor Ikonen, so dass wir leider nicht umhergehen konnten.

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Zwei nette Cafés lernten wir im Laufe des Tages kennen, das Velvet nahe der Sava-Kirche und die sehr charmante Muha-Bar in der Kralja Pietra. Nach einem Provianteinkauf für die Weiterreise und einer Hotelpause machten wir uns auf die Suche nach dem Iguana, einem Speiselokal mit Live-Jazzmusik, das uns eine Frau aus dem  Tourist-Office als ihren persönlichen Geheimtipp verraten hatte.
Da aßen wir ambitionierte internationale Küche und hörten dazu eine Combo, die Jazz Standards intonierte. Etwas störend, dass hier in allen Lokalen geraucht wird, was wir nicht mehr gewöhnt sind, aber alles in allem ein angenehmer Tagesausklang.

Budapest wäre, wie gesagt, einmal einen längeren Aufenthalt wert, aber für dieses Mal war schon wieder Abreisetag. Wir verstauten unsere Rucksäcke im Gepäckraum und gingen frühstücken und Proviant kaufen, dann mit allem Gepäck zum Bahnhof. Die Wartezeit vertrieben wir uns mit Gucken und Fotografieren. Als der Zug aus Prag ankam, der uns nach Belgrad bringen sollte, bezogen wir voll Begeisterung ein gut geheiztes Sechserabteil und freuten uns, es ganz für uns zu haben.  Bis wir merkten, dass wir nicht nur in unserem Abteil, sondern im ganzen Waggon alleine waren.  Als ich dann auch noch eine Rangierlok kommen sah, war es an der Zeit, den gemütlichen Platz wieder zu verlassen und am zugigen Bahnsteig auf den Waggonwechsel zu warten. Mit uns harrten zahlreiche Schotten in Kilts und mit denen teilten wir dann auch den Großraumwagen, der uns durch die zunehmend verschneite Landschaft nach Belgrad bringen sollte. Die Schotten hatten einiges zu Trinken dabei und das versprach eine abwechslungsreiche Fahrt.

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Wir kamen auch gleich ins Gespräch und erfuhren, dass alle zu einem Fußballspiel der schottischen Mannschaft in Novi Sad unterwegs waren. Eine Französin war auch in der Runde, die in Wien arbeitet und eine Balkantour macht. Sie hieß Aurore und wusste schon, dass sich das in einem mit französischem Akzent ausgespochenen deutschen oder englischen Satz merkwürdig anhört.

An der Grenze gab es drei Passkontrollen, wobei sich die letzte, offenbar von der Regionalpolizei, nur um die Fußball-fans kümmerte. Auch streng blickende Uniformierte und ein Spürhund kamen vorbei, vor den Einstiegstüren standen Wachen, deren Mützen sich langsam mit Schnee bedeckten. Die Schotten waren von ihren Getränken so unbefangen, dass sie allerlei Späße machten, auf die sich die Grenzer bereitwillig einließen. So kam Pia zu netten Fotos von Schotten mit serbischen Dienstmützen und mit spontanen Verbrüderungsszenen.
Pia packte Spielkarten aus und man spielte unter großem Gelächter das offenbar international beliebte "cheating". Eine Zugreise also, wie in alten Zeiten - lustig, international, radebrechend, während der Zug nicht sehr schnell durch die Gegend rüttelte und sich draußen die Dämmerung über die Winterlandschaft legte.

Ein Schotte kam mit einer Tüte voll Badges vorbei und alsbald bekannten alle "I've met the Tartan Army". In Novi Sad stiegen viele der Schotten aus und auch Aurore hatte ihr Tagesziel erreicht.  Die Männer, mit denen wir uns unterhalten hatten, wollten noch in Belgrad feiern und blieben im Zug.

Sie waren nicht die einzigen, sondern überall in der Stadt begegneten uns Männer in Schottenröcken, auf dem Weg zum Hotel und auch später, als wir zum Essen in die Skadarska gingen, eine Straße, die uns der Hotelportier empfohlen hatte und wo sich in der Tat ein Lokal ans andere reiht, während die übrige Stadt um zehn Uhr abends schon ziemlich ausge-storben wirkte. Wir bekamen sehr gut, gehaltvoll und günstig zu essen.  Nur die handgemachte Volksmusik dröhnte ganz unverstärkt so zwerchfellerschütternd durch das Gewölbe, dass wir uns etwas gestresst fühlten. Direkt an unseren Tisch kamen die Musikanten glücklicherweise nicht.

Trotz der vielen Nachtschwärmer in der Gegend hatten wir passable Ruhe. Unter den dünnen Bettdecken war es allerdings nicht besonders warm, obwohl wir schon unsere Seidenschlafsäcke zu Hilfe genommen hatten. Die ungeregelte Heizung hatten wir nachts doch nicht an lassen wollen.

Frühstück mit Kaffee und Hörnchen gab es ganz ordentlich in einem modernen Self-Café. Dann liefen wir am Fluss entlang zur Kettenbrücke, hinüber an die andere Seite der Donau und hinauf zur Burg. Natürlich sind wir nicht die einzigen Touristen und leider gibt es überall sehr zudringliche Werber für Stadtführungen. Von oben weite Ausblicke über die Stadt. Die Temperaturen frostig, an einigen Wasserausläufen in der Mauer hingen Eiszapfen und es wehte eisiger Wind. Wir bedauerten die Wachsoldaten am Präsidentenpalast und wärmten uns in einem charmanten Café nebenan auf.

DSC_1617Dann wanderten wir weiter zur Matthias-Kirche mit erstaunlicher Innendekoration, aber leider wegen Renovierung nur teilweise zugänglich. Außerhalb, auf der Flussseite, die Galerien und Türmchen der frisch renovierten Fischerbastion, von der aus sich schöne Blicke auf die Stadt boten. Auf dem Platz ließen sich Touristen mit Greifvögeln auf der Lederhand fotografieren.DSC_1587

Dann im weiten Bogen hinunter zur Margareteninsel, auf der Brücke hinüber, die bei jeder Trambahn vibrierte, als gäbe es ein Erdbeben. Am anderen Flussufer hatten wir die Straßenbahn nehmen wollen, aber alle Fahrkartenautomaten waren defekt, aus dem Fahrer war kein verständliches Wort herauszubringen und so fuhr die Tram schließlich ohne uns los und wir liefen zu Fuß. Das gab uns Gelegenheit, noch einen Blick in die imposante Stefans-Basilika zu tun, wo allerdings ein Abendgottesdienst im Gang war, so dass wir nur kurz von hinten schauen, aber nicht umhergehen konnten.

An Marktständen gab es Langos und Baumstriezel und dann entschlossen wir uns, für eine Weile ins Hotel zu gehen. Da war es so gemütlich, dass wir fast nicht mehr fortgekommen wären. Wir verhandelten lange über die Reste unseres ungarischen Geldes und was wir uns dafür wohl leisten könnten, wenn anderntags noch ein Frühstück und etwas Reiseproviant drin sein sollten und wurden über das Rechnen mit großen Summen von Forint so träge, dass wir beinahe hungrig ins Bett gegangen wären, statt uns nochmal hinaus zu begeben. Schließlich überwog aber doch der Appetit. Wir gingen einen Geldautomaten suchen, besserten unsere Barschaft auf und besuchten die Pizzeria gleich an der Ecke beim Hotel. Man isst in dieser Stadt wirklich gut und günstig. DSC_1645DSC_1647

Auffallend ist allerdings, dass es in dieser Stadt auch recht viel Armut zu geben scheint. Oft sahen wir ärmlich gekleidete Menschen, Leute, die sich in Eingängen ungenutzter Läden häuslich eingerichtet hatten, Männer, die in Hausmülltonnen nach Getränkedosen und anderen Wertstoffen wühlten und einmal wollte Pia ein öffentliches Toilettenhäuschen aufsuchen, entdeckte dann aber eine darin wohnende Frau. Auch im Stadtbild zeigt sich häufig Geldmangel. Einige Gebäude sind sehr gut renoviert und in Stand, aber viele Häuser sind heruntergekommen, schäbig und manche auch in baufälligem Zustand. Aber wir finden alles in allem, dass Budapest durchaus einmal eine längere Reise wert wäre. Zu einer wärmeren Jahreszeit allerdings.Track_130324

Coole acht Stunden Zugfahrt sind kein schlechter Ferienstart. Der komfortable Österreichische RailJet war zwar etwas voll und in den Gängen standen Menschen und Koffer, aber wir hatten unsere reservierten Plätze und in Deutschland und Österreich auch recht anständigen Internetzugang und so konnten wir mit letzten Mails und Schreibereien langsam aus dem Alltag in den Urlaub hinübergleiten.

Bei der Fahrt durch Ungarn sahen wir Reste von beachtlichen Schneewehen an den Böschungen entlang der Bahnlinie und es schaute draußen überhaupt noch recht kalt aus. So waren wir dann auch froh über unsere Winterkleider, als wir in Budapest ausstiegen und zu unserem vorgebuchten Hotel liefen. An einem Geldautomaten versorgten wir uns mit Landeswährung und mussten kräftig rechnen, bis wir die benötigte Summe ermittelt hatten. Als Bewohner von Euroland ist man dergleichen Zahlenakrobatik gar nicht mehr gewohnt.

Seltsam auch, seit langem erstmals wieder in einem Land zu sein, von dessen Sprache wir kein einziges Wort verstehen. Das machte sich gleich im Hotel bemerkbar, wo die nette, aber etwas unbeholfene junge Frau am Empfang in holprigem Englisch endlose Formalitäten vollzog,  die durch sprachliche Schwierigkeiten noch umständlicher wurden, als sie ohnehin schon waren. Am Ende aber hatten wir dann doch unser ordentliches Viererzimmer, zogen ein und breiteten uns aus.

Am Abend spazierten wir in Richtung Donau, studierten unterwegs die Speisekarten vor den Restaurants, warfen einen Blick auf die spektakulär erleuchteten Bauten am gegenüberliegenden Flußufer und blieben gleich da, denn das Menü im Restaurant Dunacorso sagte uns zu. Bei den Klängen eines ambitionierten Gitarrenspielers aßen wir vorzügliche Gerichte einheimischer Provenienz. Donauwaller und Paprikahuhn, gebackenen Käse und Krautwickel, Speck, Kotelett und eine kräftige Wurst auf Sauerkraut. Am Ende schwelgten die Damen noch in drei verschiedenen Desserts, die sie unter Jauchzen und Augenrollen herumreichten, bis alles verzehrt war. Das Ganze zu umgerechnet siebzig Euro für vier Personen war ein prima gelungenes Entree in die kulinarischen Entdeckungen dieses Urlaubs.

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Wir hatten eine erholsame Nacht im Etap-Hotel. Irgendjemand hatte die Verriegelung des Fensters geöffnet und vergessen, es wieder zu schließen, so dass es bei unserer Ankunft leicht offen stand. So konnten wir sogar bei Frischluft schlafen, ohne Zwangsklimatsierung. Wie gesagt, sind die Etap-Hotels vom Konzept her ganz in Ordnung. Aber immer wenn ich auf einer Reise viele Hotelzimmer gesehen habe, möchte ich am liebsten selbst ein Gästehaus aufmachen, um all die kleinen und großen Fehler zu vermeiden, die mir begegnet sind. So war zum Beispiel der Kloschrank in unserem Zimmer genau so groß, wie unbedingt nötig, aber es war kein Halter für die Reserve-Papierrolle vorhanden, also lag die am Boden. Bei so viel Perfektion ein seltsamer Mangel. Anstelle eines Griffes hatte die Glastür der Duschkabine ein Griffloch, durch das Wasser von der Brause direkt auf den Boden spritzte.

Dafür waren Brause und Armatur wirklich in Ordnung. Keine zehnfach verstellbare Massagebrause, die nur ein paar Wochen lang schick ist und für den Rest ihres Daseins ein schreckliches Ärgernis für jeden Gast. Sei es, dass nur mehr ein Rinnsal herauskommt, sei es, dass das Wasser nach allen Seiten davonspritzt, sei es, dass ein scharfer Strahl unerwartete Empfindungen an Stellen hervorruft, die man eigentlich nur waschen wollte. Ein besonderes Monster von Dusche gab es bei unseren beiden Besuchen in Aurillac. Dort standen Fertigduschen mit einer großen fest eingebauten Brause über dem Kopf, die am liebsten dann losging, wenn man die Haare trocken behalten wollte. Dann gab es sechs oder acht schwenkbare seitliche Düsen unterschiedlichen Verstopfungsgrades, die beim Versuch, sie zu schwenken, zum Herunterfallen neigten, und schließlich noch die obligatorische Handbrause mit fünf Massagefunktionen. Siehe oben. Wie einfach könnte das Leben sein.

Wie wäre es mit der Möglichkeit, das Handtuch in Greifnähe der Dusche aufzuhängen? Wie generell mit Gelegenheiten, Handtücher aufzuhängen, so dass man sie auch noch am nächsten Morgen auseinanderhalten kann? Überhaupt gibt es selten ausreichend Haken und Bügel, seine Sachen aufzuhängen. Die vom Schwitzen feuchten Sachen bei der Ankunft, die unterwegs verpackt gewesenen Sachen zum Aushängen, ehe man sie anzieht, die schnell mal herausgewaschenen Sachen zum Trocknen, die Hose und das Hemd während man schläft.

Steckdosen sind meist auch Mangelware. Entweder fernsehen oder das Mobiltelefon laden. Im Etap-Hotel Genf hätte ich einen Adapter gebraucht, um mein Netbook aufzuladen, weil der in Deutschland und Frankreich passende Schuko-Netzstecker hier in der Schweiz nicht zu gebrauchen war. Dies alles hier festzuhalten hatte ich die Muße, während Friederike nach unserem Frühstück in einer einfachen Bar beim Migros Proviant und Mitbringsel einkaufte.

Blumenuhr mit Touristenbähnle

Dann rollten wir weiter durch die Stadt, stellten fest, dass die berühmte Blumenuhr höchstens wegen der vor ihr posierenden Touristen interessant ist, dass Genf das Geld hat, riesige alte Bäume mit der Handbrause begießen zu lassen, dass wir inzwischen so gut trainiert sind, dass wir den steilen Weg hinauf zur Kirche St. Pierre samt Gepäck radeln können, ohne abzusetzen, dass es in der Kirche dann allerdings außer Kanzel und Chorgestühl kaum etwas zu sehen gibt, dass es aber beim Heim für Töchter in einer Ecke des Platzes eine lauschige Bank zum aufeinander Warten gibt, dass man von dem Berg nur schwer wieder ohne Treppen herabfindet, dass das Solar-Touristenbähnle am Quai Gustave Ador kurz hält, damit seine Bleiakkus mittels Hubwagen ausgewechselt werden können und dass das durchorganisiert ist, wie ein Reifenwechsel bei der Formel 1, dass sich ein Teil der genfer Businesspeople mittags gerne mit einer Schachtel Takeaway-Food auf Steinstufen am Fluss setzt, während die vermutlich besser verdienenden ein paar Schritte weiter teuer speisen. Wir setzten uns auf eine Steinstufe am Quai, schauten dem bunten Treiben zu und aßen Brot und Käse vom Migros. Der Montblanc lag im Dunst verborgen.

Mittagspause am Quai

Am Bahnhof herrschte die übliche Verwirrung, wo das Fahrradabteil des Zuges sein würde. Ich fragte einen Eisenbahner, aber der gab eine falsche Auskunft, so dass wir nach Einfahrt des Zuges den üblichen Spurt hinlegen mussten. Hastiges Einsteigen also, aber als Mitfahrer hatten wir einen Richter aus Toulouse, der sehr gut deutsch sprach, viel mit dem Fahrrad herumgekommen war und allerhand zu erzählen hatte. So wurde uns bis Zürich nicht langweilig. Dann umsteigen in den Zug nach München, wo wir für Menschen und Räder reservierte Plätze hatten. Auch das klappte alles recht problemlos. Ab Lindau schlich der Zug wegen Bauarbeiten auf irgendeiner Umleitungsstrecke dahin. Es gab Strom für mein Netbook, also schauten wir uns meine Fotos an, ich hörte Musik, Friederike las in ihrer französischen Krimisammlung. Uns war so langweilig, wie das klingt. Zudem stand uns noch die Radltour vom Hauptbahnhof nach Hause bevor, denn auf der S-Bahn-Stammstrecke in München wird an allen Sommerwochenenden gebaut.

Sonnenuntergang am Bodensee

Um nicht vor Hunger und Durst vom Rad zu fallen, gönnten wir uns kurz vor Schließung der Imbissstände am Hauptbahnhof noch einen Snack und je eine Flasche Augustiner, lernten dabei einen lustigen Bahnhofsfan kennen und fuhren dann, ganz ohne Navi, auf meiner „Nachtroute“ über Ramersdorf und Perlach nach Hause. Dort war alles noch an seinem Platz.

Gesamt-Track

 726 Fahrradkilometer

Kurze Nacht. Kein Frühstück. Frösteln in der Morgenkühle. Auf dem Weg zum Bahnhof holte Friederike in einer Boulangerie Croissants und Pains au Chocolat. Der Zug stand schon da, es war reichlich Platz für unsere Räder. Außerhalb der Ferienzeit wäre wohl in einem Frühzug um 7:55 Uhr bedeutend mehr los.

Räder im Zug ab AurillacAuf der Fahrt durchs Cantal suchten wir wieder bekannte Orte. Thiezac hat offenbar keinen Bahnhof mehr. Vor vielen Jahren waren wir hier mit einem scheppernden Zug zu unserem ersten Wanderurlaub in Frankreich angereist und hatten immer auch die Bahn zur Hin- oder Rückfahrt bei unseren Wanderungen über die Ränder des alten Vulkankraters benutzt. Um diese frühe Morgenzeit lag Tau auf den Wiesen und Nebel in einigen Teilen des Tals.

Blick aus dem Zugfenster im CantalIn Clermont-Ferrand gibt es leider weder Rampen noch Aufzüge, so dass wir Taschen und Räder separat schleppen mussten. Allerdings sind wir inzwischen ein gut eingespieltes Team und schaffen das Rauf und Runter in Rekordzeit, ohne dabei die Kontrolle über die Lenkertaschen mit den Wertsachen, die Räder und das übrige Gepäck zu verlieren. Die Übergangszeit erlaubte es uns, gegenüber dem Bahnhof in Ruhe einen Milchkaffee zu trinken, Wasser und Kekse zu kaufen und eine ganz kurze Runde in der Stadt zu drehen, bevor wir uns im Zug nach Lyon einrichteten. Da gab es wieder Hängevorrichtungen für die Räder, so dass wir alles Gepäck separat verstauen mussten. Außerdem sind die Aufhängungen für niedrigere Fahrräder konstruiert, so dass die Leute immer an den Lenkern und vor allem an unseren Rückspiegeln hängen bleiben. Würden die Konstrukteure solcher Waggons selbst mit dem Fahrrad reisen, gäbe es bestimmt Stellplätze, an denen man beladene Fahrräder sicher abstellen könnte. Schon für ganz normale Koffer ist in vielen modernen Zügen nicht ausreichend Platz. Die Konstrukteure fahren vermutlich im Alltag mit dem Auto und verreisen mit dem Flugzeug. Dort wird an das Gepäck gedacht.

Am Bahnhof in Clermont Ferrand hatten wir erfragt, dass es eine Zugverbindung nach Genf gäbe, die uns drei Stunden Wartezeit ersparen würde. Einziges Handicap: nur achtzehn Minuten Übergangszeit in Lyon. Aber mit den Rampen am dortigen Bahnhof wäre das zu schaffen. Wir räumten also beizeiten unsere Taschen in die Nähe des Ausgangs, nahmen Aufstellung und versuchten, zu raten, auf welche Seite der Bahnsteig sein würde. Gepäck raus auf den Perron, Fahrräder von den Haken, ohne irgendetwas aus den Augen zu verlieren, Fahrräder beladen und zwischen Bahnsteigkante und gedrängten Reisenden fast die ganze Bahnsteiglänge bis zu den Rampen und hinab. An Gleis B keine Rampe, nur ein Aufzug, vor dem viele Leute warteten. Dahinter eine Rolltreppe. Rolltreppe fahren mit beladenen Rädern hatten wir schon. Mit guten Bremsen kein Problem. Oben das bekannte Ratespiel, wo die Fahrradabteile sein würden. Als der Zug kam, stellte sich heraus, dass wir es mit unserem Standort nicht schlecht getroffen hatten. Wir waren die ersten Radler im Zug. Hinter uns kam noch eine Familie aus Luzern, mit zwei Kindern, zwei Rädern, Kinderrad, Kinderanhänger und mords Gepäck. Aber ebenfalls gut organisiert. Alle erstmal rein, dann Plätze reservieren, Gepäck abladen im Getümmel der übrigen Fahrgäste, Gepäck verstauen, hinsetzten, durchatmen, geschafft! Wir hatten einmal Umsteigen in Bellegarde gespart und würden dreieinhalb Stunden eher in Genf sein.

Genfer SeeDie Fahrt ging dann auch ganz problemlos. An den Haken baumelten ein Kinderrad und vier teure Fahrräder mit Rohloff-Schaltung.  Die Schweizer hatten sogar Zahnriemen-Antrieb statt Kette (bis sie einmal im Winter damit fahren und gefrorener Matsch in den Riemenscheiben festfriert, wie damals bei Pias stolzem Patria-Kinderrad). Wir fuhren durch schöne Landschaft, aßen restliches Baguette und Kekse und freuten uns auf einen netten Abend in Genf. Das Etap-Hotel war leicht gefunden, der Weg bergauf dorthin angesichts des Trainingszustandes, den wir in den letzten Tagen erreicht hatten, auch kein echtes Problem. Wir sicherten unsere Räder vor dem Haus mit der schweren amsterdamer Kette, machten uns frisch und radelten dann in die Innenstadt und dort ein Wenig umher, durch ein paar Straßen mit teuren Lokalen, dann an den See. Wir wechselten fünfzig Schweizer Franken ein, stellten fest, dass die Preise noch höher sind, als in München und landeten nach einigem Suchen zum Abendessen in einer sehr reellen Pizzeria in einem innenstadtnahen Wohnviertel.

Dann radelten wir in der Abenddämmerung die Quais entlang, saßen eine Weile auf einer noch sonnenwarmen Steinmauer in der lauen Abendluft, sahen den Leuten zu, schauten aufs Wasser hinaus und auf die Lichter der Stadt und fuhren am Ende wieder den langen Berg hinauf zum Hotel.

Genfer See bei Nacht

Die Nacht in unserem schönen grossen Zimmer zum Hauptplatz von Marcolés war etwas unruhig. Die Wimpelleinen vor dem Haus flatterten hörbar im kräftigen Wind und fast die ganze Nacht über kamen gelegentlich lärmende und offenbar auch betrunkene Festgäste vorbei. Diese Sommerfeste in der Haupt-Urlaubszeit, wie wir sie jetzt hier in Frankreich erleben und auch aus Italien kennen, haben wohl etwas damit zu tun, dass viele Einheimische entweder im eigenen Land oder gar nicht verreisen. Bei uns sind Feste eher vor den Sommerferien, weil danach sehr viele weg sind. So waren am Morgen auch alle im Haus mit emsigen Festvorbereitungen beschäftigt. Straßensperren wurden aufgestellt, Getränke gekühlt, Tische und Bänke hergerichtet. Am Vorabend hatten wir in der Kirche sehen können, dass auch die Jungfrau Maria zu ihrem Geburtstag, dem 15. August, besonders hergerichtet wurde.

Baum in FeldernTrotz des Feiertags hatte der kleine Supermarkt vormittags geöffnet, so dass wir uns wieder versorgen konnten, ehe wir losfuhren. Wir waren lange Zeit fast allein auf den kleinen Straßen, die uns auf und ab durch kühle Flusstäler und über weite Höhen führten. Auf den Weiden standen Kühe, in der Luft kreisten immer wieder Greifvögel. Bald tauchte vor uns in der Ferne wieder die Berglandschaft des Cantal auf. Der recht starke Wind, der schon nachts ums Haus gepfiffen hatte, dauerte an, kam aber zum Glück fast nie von vorne. Er kühlte angenehm, denn eigentlich war es recht heiss. Als wir nach einer Brotzeitpause am Bouleplatz von X wieder aufbrachen und auf der breiten sonnenbeschienenen Ortsstraße aufstiegen, zeichneten sich meine Reifenspuren im aufgeweichten Asphalt ab.

FeldwegAuf einer Weide beobachteten wir Kühe, die sich gegen die lästigen Insekten gerne die Hilfe von Vögeln gefallen ließen, die sich ihnen sogar auf die Schnauze setzten und dort herumpickten.

KüheNachdem unsere Tagesroute nicht lang war, konnten wir uns bei den Aufstiegen Zeit lassen, hatten allerdings im Internet auch die Gewitterwarnungen für den Nachmittag gesehen und wollten gerne bei gutem Wetter nach Aurillac kommen. Als wir den Ort aus einigen Kilometern Entfernung unten vor uns liegen sahen, begannen sich hinter uns bereits dunkle Wolken zusammenzuziehen. Wir erreichten aber problemlos die Stadt und fanden auch gleich unser Hotel, Le Renaissance, wo man bei heftiger gewordenem Wind bereits begann, die Außentische abzuräumen. Als wir uns aber frisch gemacht hatten und wieder auf die Straße kamen, hatte der Wind nachgelassen und das angekündigte Unwetter war zumindest vorerst ausgeblieben. Während wir beim Nachmittagskaffee saßen, drang sogar wieder die Sonne durch die Wolken.

Blumenampeln in AurillacWir wanderten einige Zeit durch die Gassen der Stadt. Aurillac ist nicht wirklich das, was man einen malerischen oder hübschen Ort nennen würde. Es gibt viele heruntergekommene Gebäude, einige horrende moderne Bausünden und viel gestalterische Lieblosigkeit, auch wenn in manchen Straßen große gut gepflegte Blumenampeln hängen. Natürlich sieht eine Stadt anders aus, wenn auch noch feiertagshalber die Geschäfte zu sind. Aber unser Gesamteindruck war nicht enthusiastisch.

Am frühen Abend setzten wir uns vor das moderne Café, wo wir schon ein paar Stunden zuvor gewesen waren, tranken Bier vom Fass und schauten allerlei illustrem Volk zu, das in dem Lokal verkehrte. Im Hintergrund standen wieder finstere Wolken, aber es blieb warm und trocken.

Im Hotel ist der W-Lan-Zugang kaputt und wegen des Feiertags gibt es niemanden, der ihn reparieren kann. Ein überraschendes Phänomen auf dieser Reise war, dass es in fast allen Unterkünften einen kostenlosen Internet-Zugang per W-Lan gab. Mehr noch: auch auf dem Land konnte ich ohne Probleme meine Blog-Photos hochladen und hatte den Eindruck, dass die Internet-Anbindung immer im Bereich mittlerer DSL-Geschwindigkeit, also bei mindestens 5 MBit lag. Davon können vergleichbare Gegenden in Bayern nur träumen.

Als wir zum Abendessen in unser Hotel hinübergingen, begann es zu regnen. Das Abendessen war gut und ein durchaus passender  Abschluss für den kulinarischen Aspekt dieser Reise. Die Darbietung war eher sachlich. Den Näpfchen, in denen die einwandfreien Pommes Frites angeboten wurden, fehlten drei Fünftel von vier Henkeln.

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Spätnachts, als ich mein Netbook gerade wegpacken, den W-Lan-Bereich in der Lobby verlassen und ohne Bestätigung für unsere nächste Hotelbuchung ins Bett gehen wollte, war die Absage gekommen. Also wurde es nichts aus dem Wagnis, auf über 900 m zu klettern. Wir planten beim Frühstück um und wählten ein weniger ehrgeiziges, wenn auch nicht ganz anspruchsloses Ziel im Süden. Das dortige Hotel wies zwar auf seiner Internet-Seite auch kein freies Zimmer mehr aus, aber telefonisch konnten wir dann doch noch etwas bekommen.

AusblickNach einer kurzen Runde zur Dorfkirche und dem Einkauf von Wasser und Obst bei zwei alten Leutchen im einzigen Laden des Ortes machten wir uns also wieder auf den Weg. Beim ersten Aufstieg bot sich und erneut ein wunderbarer Ausblick auf die Vulkanberge des Cantal, dann auch auf das westlich gelegene Hügelland. Auf den Weiden immer wieder die hier typischen rotbraunen Salers-Kühe mit den langen geschwungenen Hörnern.

Nach einer Weile ging es in kühler Serpentinenabfahrt hinunter an einen Fluss, wo gerade ein Kleinkraftwerk gebaut wurde, dann wieder recht zügig aufwärts. An diesem Tag war alles nur Landschaft. Wenige und nur sehr kleine Ortschaften, kaum Verkehr, bis auf ein kurzes Stück Straße, das auf der Landkarte rot markiert war und auf dem sich entsprechen mehr Verkehr abspielte. Wir kamen aus einer sehr kleinen Straße dort hin, die an einigen einzelnen Bauernhöfen vorbei geführt hatte. Beim letzten Haus hatten uns zwei große Hunde verbellt und dabei die Gartenmauer übersprungen. Danach waren sie uns weiter gefolgt, und rannten mit uns, auch als wir auf die Hauptstraße einbogen. Dort trabten sie wild hin und her und sorgten für einige Verkehrsstörungen. Vor allem bei großen Lastzügen wichen sie nicht aus, sondern liefen ihnen voran und ließen sich auch durch kräftiges Hupen nicht verscheuchen. Als wir die Hauptstraße nach eineinhalb Kilometern wieder verließen, blieben sie bei einen Anwesen halten, kamen dann aber doch wieder im Galopp hinter uns her. Wegen der ansteigenden Straße konnten wir sie auch nicht durch erhöhte Geschwindigkeit abhängen. Erst als sie dann in ein Grundstück mit einer großen Hecke einbogen und dort herumschnüffelten, waren wir sie los.

Blick zurückEs ging dann nochmal bergab, bevor wir Marcolés erreichten. Der letzte Aufstieg zum Ort sollte auf einem Kilometer hundert Höhenmeter betragen und wir waren durch die kurze Strecke sehr früh dran, also machten wir in einem Seitenweg Brotzeitpause und durften dabei drei Jugendlichen zusehen, die sich anschickten, ein kaputtes Moped an einen Motorroller zu binden, um es abzuschleppen. Nach langem Probieren und Verhandeln hatten sie es geschafft. Das Mädchen fuhr den Roller, der Junge führte sein gezogenes Moped hinterher, der dritte bildete die Nachhut.

Wir blieben noch eine Weile und folgten dann ganz langsam nach, den Berg hinauf. Schon am Ortseingang informierte uns ein älterer Monsieur, dass ein Fest bevorstünde. In der Tat war der charmante kleine Ort geschmückt und wie vor drei Tagen in Meyssac wurden überall Karussells, Buden und Bühnen aufgebaut.

Auberge de la TourUnsere Auberge de la Tour hat einen Treppenaufgang durch einen alten Rundturm aus dem siebzehnten Jahrhundert, mit ganz ausgetretenen Steinstufen. Das Zimmer, das wir bekommen hatten, war riesengroß und hätte auch für fünf Personen gereicht. Nach einer kleinen Ruhepause machten wir uns auf zu einem Rundgang. Überall wurde vorbereitet und alle schienen in Festlaune. Wir streiften durch die malerischen Straßen, in denen es einige Touristenläden mit Kleinkunst gibt, ohne dass der Ort wirklich unter Besucherdruck stünde. Wir schauten uns die Kirche an, in deren Seitenaltären sich viele verschiedene Stilrichtungen treffen und wanderten dann ein Stück weit in eine Allee hinein, die zwischen Viehweiden auf ein Herrenhaus zu führte. In der Ferne brüllte eine Kuh und bemühte sich um ihr offenbar soeben geborenes Kalb, das nicht aufstehen wollte. Es schien sich, so weit wir das von Weitem sehen konnten, einige Male zu bewegen, richtete sich aber nicht auf. Wir gingen im Schutz einer Hecke auf einem Seitenweg näher, konnten aber keine weiteren Einzelheiten sehen und zogen uns wieder zurück, um die Kuh nicht zu stören. Als wir wieder auf dem Hauptweg waren, kam der Bauer mit dem Auto gefahren, brauste über die Wiese, verscheuchte die Kuh und versuchte, das Kalb mit erst vorsichtiger, dann kräftigerer Druckmassage zum Leben zu erwecken, während die Kuh die Szene aufgeregt umkreiste.  Anscheinend war alles vergeblich. Schließlich verlud er das Kalb in sein Auto und fuhr weg.

Bauer mit Kuh und KalbEtwas bedrückt gingen wir zurück in den Ort, setzten uns auf eine Bank und sahen dem vorabendlichen Treiben zu. Hinter uns wurde ein Kinderkarussell herausgeputzt, Musiker kamen und fragten uns nach der Bühne, auf der sie spielen sollten, Schausteller fuhren immer wieder in einem bunt bemalten Auto vorbei, Einheimische und Auswärtige liefen vorüber.

Bis zum Abendessen setzten wir uns vor das Hotel und tranken enzianbitteren Salers (ich) und milderen Avèze (Friederike). Dann ging es zu Tisch. Stellvertretend für die vielen Abendessen, die wir auf diese Fahrt bekommen hatten, sei dieses einmal im Detail beschrieben: Als Amuse Gueule gab es eingangs im Schnapsglas eine nicht weiter erwähnenswerte Crevettencreme. Als Vorspeise folgte ein Block aus einer Zubereitung von kaltem Bleu d'Auvergne, einem Blauschimmelkäse der Gegend. Obenauf ein halbrund geformtes Blatt aus geröstetem Käse, darin fein geschnittenes rohes Gemüse: Blaukraut, Möhren und Blumenkohl. Der Hauptgang bestand aus gebratener Dorade für Friederike und zwei durchgebratenen zylindrischen Rindfleischstücken für mich, dazu im Glas ein mit Butter und Käse aufgeschlagener Kartoffelbrei und etwas gegartes Gemüse, Blumenkohl, Paprika und grüne Bohnen. Danach eine Käseauswahl, einige kleine Stücke, am Tisch nach Wunsch abgeschnitten. Zu allem immer wieder vom Kellner mit einer Vorlegezange nachgereichte kleine hausgemachte Semmeln. Den Abschluss bildete ein Dessert aus einem halben Pfirsich, einem Blatt geröstetem Zucker und einer großen Kugel Pfirsicheis. In dieser Reihenfolge aufgetürmt serviert in einer Schale mit einer Soße, die etwas Rosenwasser zu enthalten schien, passend zu dem gezuckerten Rosenblatt ganz obenauf. Zu allem ein halber Liter einfacher Wein und beliebig viel Leitungswasser aus der Karaffe.

Nicht immer war so viel Zelebration, Schnickschnack und Deko dabei, aber meist war es gut, manchmal ausgezeichnet, nie wirklich schlecht. Das alles zu Preisen von etwa dem Eineinhalbfachen dessen, was wir bei uns für ein Hauptgericht mit Salat und Getränk ausgeben würden. Wenigstens in der von uns bereisten Gegend gibt es noch die berühmte französische Esskultur. Die Portionen sind meist nicht üppig, aber ausreichend. Man merkt den Einfluss der Nouvelle Cuisine.

ZuckerwatteZum Ende unsere Mahlzeit nahmen vier Musiker mit Banjo, Klarinette, Akkordeon und Trommel Aufstellung und unterhielten uns mit handgemachter Musik im Stil von Quadro Nuevo. Wir wanderten die Hauptstraße hinunter, in der ein großes Festzelt mit Tischen und Bänken aufgebaut war. Etwas weiter gab es einen großen Grill, wo Muscheln und Würste zubereitet wurden. An einem kleinen Stand gab es Barbe à papa, rosa Zuckerwatte. Als später eine recht gute Band mit einer flotten Sängerin auftrat, wurde getanzt. Wir kauften uns noch ein Bier im Becher und feierten mit, bis wir müde wurden. Vor dem Zu Bett Gehen planten wir noch die letzte Fahrrad-Etappe dieser Reise, nach Aurillac.

Band

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Vor dieser Etappe hatten wir Respekt. Nach etwa elf Kilometern einigermaßen ebener Fahrt würde ein elf Kilometer langer, beinahe kontinuierlicher Aufstieg um über vierhundert Höhenmeter folgen. Die Gastgeber hatten uns ohnehin gebeten, das Zimmer etwas früher zu räumen, weil nach uns Künstler einziehen sollten, die etwas eher kämen, um sich vor ihrem abendlichen Auftritt im Ort von der Anreise zu erholen.

Blick aus dem FensterWir waren so schon etwas früher als sonst auf der Straße, vertaten dann allerdings etwas Zeit mit der Suche nach einem Supermarkt. Schließlich ging es los. Wir hatten beschlossen, wenigstens versuchsweise die Hauptstraße zu nehmen, weil wir uns da den gleichmäßigsten Anstieg versprachen. Der Verkehr dort war erträglich und die Straßenführung recht angenehm, so dass wir auch auf eine eingeplante Abzweigung verzichteten.Von der Höhe boten sich abwechseln nach beiden Seiten weite Blicke ins Land. Erst ein Stück hinter Teulet wechselten wir auf eine kleinere Straße, die uns nun fast durchwegs in Serpentinen abwärts auf Laroquebrou zu führte.

Straße abwärtsWir machten Pause bei einer Bank am Straßenrand hoch über dem Fluss Cère, der sich hier wieder frei durch sein Tal windet, nachdem er an der Barrage de Saint Ètienne-Cantalès zur Erzeugung von Elektrizität herangezogen wurde. Die passierten wir etwas später und nach einem Anstieg lag kurz darauf die ganze Vulkanlandschaft des Cantal vor uns.

CantalUnser Zimmer im Hôtel du Lac war schon gebucht. Wir erreichten es weit eher und weniger erschöpft als befürchtet bereits gegen vier Uhr nachmittags. Friederike probierte den nicht sehr großen Swimmingpool, dann machten wir uns an die Planung für den nächsten Tag. Übermütig vom heutigen Erfolg wählten wir eine Route, die bis auf über 900 Meter führen soll. Allerdings täuscht die Website des Hotels in Saint-Cirgues de Jordanne die Möglichkeit der Online-Buchung nur vor. In Wirklichkeit kann man nur eine Reservierungsanfrage machen und bis zum Abend warteten wir vergeblich auf eine Bestätigung.

Zum Abendessen kamen einige Gäste seltsamer Weise schon mit schlecht gelaunten Gesichtern auf die Terrasse, von der aus man den Himmel, grün bewaldete Hänge und ganz unten ein Stückchen des Stausees sehen konnte. Anders als der Name "Hôtel du Lac" eigentlich erwarten ließ, handelt es sich also nicht um ein "Seehotel", sondern allenfalls um ein "Hotel Seeblick". Zum Badestrand seien es zwei Kilometer abwärts, hatten wir an der Rezeption erfahren. Das Essen war ausgezeichnet, aber seine Zelebration dauerte insgesamt drei Stunden. Zwischen den Gängen war reichlich Zeit, sich aus den Zimmern wärmere Kleidung zu holen, denn nach Sonnenuntergang wurde es etwas kühl unter den Markisen. Uns wurde nicht langweilig beim Beobachten der Leute und eine andere Unterhaltung hätte es - bis auf den Fernseher im Zimmer - an diesem abgelegenen Ort auch nicht gegeben.

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Beim petit déjeuner an der großen Tafel des Hauses "La Croix Verte" trafen sich die Gäste. Wir hatten gar nicht wahrgenommen, dass außer uns noch zwei ältere Ehepaare da waren. Auch am Frühstückstisch standen, wie in den Zimmern, nette und verspielt-praktische Einzelheiten, zum Beispiel eine hölzerne Gehrungslehre für das schräge Abschneiden von Baguettestücken. Ansonsten gab es gute Marmeladen aus England, hergestellt von Madames Mutter. Madame ist Engländerin.

Wegweiser zum GästehausDie nächsten Stunden verbrachten wir mit dem Ausarbeiten unseres restlichen Reiseplans am Computer. Es galt, ohne allzu mörderische Steigungen auf annähernd gerader Linie Aurillac zu erreichen und dabei noch einen oder zwei günstig gelegene Etappenorte anzusteuern, in denen wir sicher Unterkunft bekommen würden.   Das war nicht ganz einfach und vom angestrengten Suchen auf Bildschirm und Landkarte schmerzten am Ende die Augen, bis wir Lacapelle Viescamp am Stausee der Cére als Tagesziel gewählt und dort auch gleich noch online ein Zimmer im Hotel du Lac gebucht hatten. Es soll ein heisser Tag werden und die Route ist manchmal recht steil und nicht unbedingt kurz. Das wird sicher kein Spaziergang.

Ferienstimmung an der DordogneDen gab es dafür an diesem Nachmittag. Wir radelten in den Ort, besorgten in einer Boulangerie etwas zu essen, setzten uns damit auf eine Steinbank unter Bäumen am Fluss und gönnten uns anschließend Kaffee unter den bunten Schirmen vor einer Bar. Argentat ist nicht überlaufen, aber an der Uferpromenade und in den Lokalen trifft man außer französischen Feriengästen auch Holländer und Briten. Wir gondelten weiter umher durch die recht leeren Gassen, suchten Ein- und Ausblicke, machten bei einem Buchladen Halt, der trotz des Sonntags geöffnet hatte und wo Friederike ein Buch mit kriminalstischen Kurzgeschichten kaufte.

Werbefahrrad vor einer EisdieleVor lauter Müßiggang wurden wir ganz schläfrig. Zur Erfrischung bestellten wir bei einer Bar unser Erfrischungsgetränk dieses Sommers, menthe a l'eau. Dann fuhren wir zurück zu unserem Zimmer und verbrachten eine Weile mit Siesta und Wäschewaschen. Auch dabei bewähren sich übrigens meine neuen "Funktions-Textilien". Als Freund natürlicher Fasern hatte ich lange gezögert, die Plastik-Sachen zu probieren, aber beim schweisstreibenden Radfahren waren mir die schlecht trocknenden klatschnassen Unterhemden und Hemden aus Baumwolle und das Frösteln darin bei Pausen letztlich doch zu lästig geworden, und so hatte ich in der Woche vor unserer Abreise im Schlussverkauf günstig drei Unterhemden und drei Hemden aus Polyester-Fasern gekauft. Die haben sich nicht nur beim Tragen bewährt, sondern sie sind auch mit wenig Waschmittel und Wasser schnell herausgewaschen und klargespült und trocknen problemlos innerhalb einer Nacht.

Abendessen gab es wieder beim bewährten "Fouillade" und auf dem Rückweg zum Haus kam uns nach diesem Faultag der kleine Anstieg mit unbeladenen Rädern so mühsam vor, dass wir dem kommenden Tag mit Spannung entgegenblickten.

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