Die Nacht war gut, nur gegen sechs Uhr früh begann ich die Ansagen wahrzunehmen, die in kurzen Zeitabständen vom Bahnhof herüberwehten: (Bimbam) "Attenzione! Treno in transito al binario due. Allontanarsi dalla linea gialla." Zweimal nacheinander, dann das Rauschen des Zuges. Wir drehten uns noch ein paarmal zur Seite, aber dann war doch Zeit, aufzustehen.
Das Frühstück begann zäh. Eine der Damen, die wir schon am Vortag kennen gelernt hatten, richtete ein wenig unseren Tisch her, stellte sich aber selbst als Gästin vor. Erst nach einer Weile erschien auch die Signora und brachte Semmeln, Hörnchen, Butter, Marmelade und einen bitteren Kaffee, der Tote hätte erwecken können.
Mit dem Bezahlen ging es ebenfalls etwas holprig, denn inzwischen telefonierte die Signora, anscheinend handelte es sich um einen Trauerfall. Hoffentlich nicht in der Runde der betagten Gäste vom Vorabend. Nebenher schrieb sie unsere Rechnung für Zimmer und Abendessen und kassierte. Beinahe hätten wir in dem Chaos noch vergessen, unsere Personalausweise zurückzuverlangen, die sie bei unserer Ankunft verlangt hatte.
Schließlich waren wir aber doch richtig auf der Straße und fuhren weiter gen Süden. Die Berge wichen seitlich zurück, zwischen uns und der Ebene lag nur noch ein Höhenzug, auf dem sich fleißig vier Windräder drehten. Auf der Autobahn, an der wir ein ganzes Stück entlang fuhren, herrschte zähfließender Verkehr bis Stau.
Der Berg, den wir noch zu überwinden hatten, war nicht ganz leicht zu nehmen, auch wenn wir inzwischen wieder ganz gut in Übung sind. Dafür gab es oben eine weite Aussicht in das Tal, aus dem wir gekommen waren, und auf der anderen Seite ging es so flott und steil bergab, daß wir die Leute schier bedauerten, die uns entgegen kamen.
Die Karte auf meinem Navi hatte uns schon verraten, daß unten im Berg ein Kanal verlief. Als wir die Stelle erreicht hatten, wo er wieder hervortritt, ging unser Weg am Kanal entlang weiter, auf dem Damm, über Brücken neben dem Wassertrog, bis kurz vor Verona. Leicht und schnell gelangten wir in die Stadt hinein, umrundeten die Piazza Brà und ließen uns dann vor einem Café nieder.
Anschließend wies uns OpenStreetMap auf meinem Smartphone wieder einmal rasch den Weg zu einer Trinkwasserstelle, wo ein kleiner Junge selbstvergessen aus einem Plastikschälchen trank und vergoss und ein Mädchen nicht von dem Druckknopf weichen wollte, mit dem der Hahn geöffnet wird, so daß sie allen Leuten beim Zapfen half.
Verona wieder zu verlassen, war sehr viel schwieriger, als hinein zu gelangen. Wir fuhren auf langen breiten Ausfallstraßen, durch riesige Kreisverkehre, endlose Gewerbegebiete und Vororte, bis wir an die Peripherie gelangten und sich die platte Weite der Poebene vor uns ausbreitete. Die Hitze machte uns an diesem bisher heißesten Tag des Jahres sehr zu schaffen. Hatte uns aus den Bergen heraus noch der kräftige Rückenwind geschoben, der auch die Windräder trieb, so stand jetzt die Luft und an manchen Stellen fuhren wir wie gegen eine Wand aus Hitze, wie bem Öffnen eines Backofens. In einem großen Supermarkt auf dem Land kauften wir Obst und Wasser. Unser Durst war enorm.
So waren wir recht froh über den Dunst, der nachmittags das Sonnenlicht dämpfte, und über einzelne dünne Wolkenschleier, die etwas Schatten spendeten.
An unserem Hotel in Bonferraro stand eine Telefonnummer, die wir anrufen mussten. Nach zehn Minuten kam dann mit dem Auto ein überaus freundlicher junger Mann, der uns einließ und uns zusätzlich zu unserem Zimmer auch noch den Schlüssel zu einem Laden-Appartement im Parterre überließ, damit wir dort unsere Fahrräder einstellen konnten.
Wir genossen den Komfort von Klimaanlage und Dusche und gingen dann in eine nahe Trattoria, in der die Gäste statt Antipasto, Primo und Secondo nacheinander mehrere Portionen verschiedener Risotti aßen. Schließlich waren wir in einem Reisanbaugebiet und das wurde hier wohl ausgiebig zelebriert. Gemüse oder gar Salat haben wir in dem Lokal nirgends gesehen. Wir fühlten uns schon nach je einer Portion gut gesättigt und probierten zum Abschluss noch "Mustarda e Grana", pikant in Senf eingelegte Früchte mit würzigem Hartkäse. So war auch unser Salzhaushalt nach dem schweißtreibenden Tag wieder ausgeglichen.
Den weiteren Abend verbrachten wir mit Bloggen und Planen für die nächsten Etappen. Die Fotos zum Text macht übrigens, eines alle dreißig Sekunden, eine an meinem Fahrrad befestigte GoPro-Kamera. Daher der bisweilen extreme Weitwinkel-Effekt, der ganz witzige Verfremdungen schafft.
Autor: WS
7. August 2015 – Mezzocorona – Rivalta (87 km)
Der gestrige Tag war heiß gewesen und in der Nacht kühlte es nicht wesentlich ab. Um dem Straßenlärm zu entgehen, probierten wir es mit der Klimaanlage, aber die erwies sich als nicht besonders leistungsfähig. So folgten dem heißen Tag eine heiße Nacht - und wiederum ein heißer Tag.
Wir starteten etwas eher als sonst, verließen den Ort und folgten weiter dem Radweg, der heute über weite Strecken auf Flussdämmen verlief.
In Trento versorgten wir uns mit Semmeln, Käse, Tomaten und einer großen Tüte Weintrauben. Dann setzten wir uns an der Piazza del Duomo vor ein Café und sahen der Feuerwehr zu, die mit einem riesigen Kran verkohlte Balkenstücke aus der Glockenstube der Torre Civica barg. Dort hatte es, wie wir Internet-Berichten entnahmen, vor drei Tagen ordentlich gebrannt, vermutlich durch einen Kurzschluss.
Bald nach Trento kamen wir an einem kleinen Flughafen vorbei, von dem aus ein Kleinflugzeug die Segelflieger aufzog, die wir schon länger beobachtet hatten. Weiter ging es auf Dämmen durch das mal eng werdende, dann wieder sich weitende Tal. Zeitweise kam kräftiger heißer Gegenwind auf, der uns keine Kühlung verschaffte. Nur wenn beidseitig der Strecke Bäume und Sträucher standen, war es angenehm kühler. Dafür fanden wir auch heute immer wieder Wasserstellen, wenn auch nicht so häufig wie am Vortag.
In Rovereto machten wir nochmal Kaffeepause, dann ging es mit einigen hitzebedingten Halten weiter, mal auf den Dämmen der Etsch, mal durch ausgedehnte Weingärten, mal links das eine, rechts das andere. Immer wieder freuten wir uns über den Geruch den Feigenbäume in der Hitze verströmen und den wir intensiv mit Reisen in südlichen Ländern verbinden. Leider bildeten etliche Kläranlagen, die wir passierten, dazu einen eher unwillkommenen olfaktorischen Kontrast.
Unsere Wasservorräte waren mehrere Male geleert und wieder aufgefüllt, Tomaten und Trauben aufgegessen, als wir schließlich in Rivalta ankamen. Im Hotel Olivo verursachten wir eine kleine Welle der Aufregung unter einigen alten Frauen. Sie liefen und riefen, bis es ihnen mit Hilfe eines dicken Mannes gelang, die Gittertür des Eingangs aufzuschließen, hinter der sie hervorlugten. Schließlich kam auch noch eine Jüngere, die unsere Papiere verlangte, gleich wieder verschwand, um kühles Wasser für uns zu holen, dann den Schlüssel aushändigte, uns in die Garage geleitete, damit wir unsere Räder einstellen konnten und schließlich auch noch für Strom in unserem Zimmer sorgte, das wir mit südländisch heruntergelassenem Rolladen und finster vorgefunden hatten.
Mit kühlem Duschen versuchten wir, die Schweissströme zu beenden, die an uns herunterflossen. Schließlich gingen wir zum Abendessen, wo es (leider etwas trockene) Tagliatelle mit schwarzen Trüffeln gab, und neben anderen Gästen eine Geburtstagsgesellschaft überwiegend betagter Herrschaften, die uns ein Wenig wie ein skandinavischer Dogma-Film erschien. Zeitweise glaubten wir, die unterschwelligen Spannungen mit Händen zu greifen. Wir blieben sitzen, bestellten noch etwas Rotwein und genossen den kühler werdenden Abend.
6. August 2015 – Chiusa – Mezzocorona (76 km)
Die Tische zum Frühstück waren nach Zimmern durchnummeriert. Es gab ein ganz ordentliches Buffet und auch der Kaffee, der in Warmhaltekannen auf den Tischen bereit stand, war besser, als am Vortag. Die Gäste kamen uns großenteils etwas grantig vor, was an den Folgen des feuchtfröhlichen Grillfestes gelegen haben mag. Die kleine Kellnerin, die uns am Abend durch merklichen Zungenschlag aufgefallen war, schien wieder fit. Während wir vor dem Hotel unsere Räder bepackten, sammelte der junge Wirt seine Hausgäste zu einer kleinen Exkursion. Ein riesiger Schäferhund war auch dabei.
Wir hatten uns vorgenommen, bei der Abreise nochmal durch die hübsche Altstadt von Chiusa zu fahren, kauften dabei Obst und Tomaten, Friederike wusch sie am Brunnen vor dem Lokal, wo wir am Vortag gegessen hatten, dann fuhren wir los.
Die Route begann etwas wellig, ging aber nach einiger Zeit in einen sehr angenehmen Bahntrassenweg über, wo wir mit recht konstantem Gefälle über alte Brücken und durch kühle dunkle Tunnels dahinfahren konnten. Ähnlich angenehm ging es dann weiter bis Bozen, wo wir in einem Café an der Piazza Walther Rast machten.
Bozen bezeichnet sich als Fahrradstadt und tatsächlich wird da recht viel geradelt, wir fanden gut ausgebaute Wege und es gibt sogar Luftpumpenstationen. Der weitere Weg lief so angenehm dahin, wie wir das schon für die Abfahrt vom Brenner gewünscht hätten. Der Radweg ist gut ausgebaut, es gibt Rastplätze und Trinkwasserstellen und beides brauchten wir, denn es war enorm heiß und es gab im weiteren Verlauf kaum schattige Abschnitte.
An einem Rastplatz saßen wir in einer Weinlaube und probierten ein paar von den noch kleinen aber schon schmackhaften Trauben. An den Wasserstationen trafen wir andere Radler, die sich ausgiebig frisch machten. Es waren, einzeln und in Gruppen, ungeachtet der Hitze ziemlich viele Radler unterwegs. Wie wir, ordentlich bepackt, für eine lange Reise, oder fast ohne Gepäck mit dem Rennrad, darunter einige zähe, gegerbte ältere Männer. Eine Gruppe von Österreichern, die wir trafen, zwei Männer, zwei Frauen, waren ganz leicht unterwegs und erzählten,dass ein fünfter Mann ihr Gepäck transportierte. Sie berichteten, dass es über vierzig Grad habe. Viel fehlte bestimmt nicht.
Wir waren gut in der Zeit und gönnten uns häufige Pausen. Heute nicht wegen Steigungen, sondern wegen der enormen Hitze. Am Ende erreichten wir Grumo/Mezzocorona, wo wir uns schließlich, zu unserer nicht geringen Überraschung vor einem Hotel wiederfanden, in dem wir vor zwei Jahren schon einmal übernachtet hatten. Damals kamen wir über den Reschenpass und kreuzten hier das Tal auf dem Weg nach Venedig. Deshalb hieß der Ort damals für uns auch "Mezzocorona" und nicht, wie heute, wo wir aus der anderen Richtung kamen, das am Kreisverkehr vor dem Haus angrenzende Grumo/San Michele.
Der Mann an der Rezeption war unbeflissen wie einst und auch die Pizzeria nebenan existierte noch. Dort aßen wir denn auch zu Abend, nicht mit Bier, sondern mit Wasser und Wein, denn langsam wird es in allem echt italienisch.
5. August 2015 – Gries – Chiusa/Klausen (75 km)
Die Nacht war ruhig, nachdem sich das Gewitter ausgetobt hatte, der Morgen war kühl und, als sich die Talnebel verzogen hatten, blau und klar. Das Semmelfrühstück war eher einfach und der Kaffee ging mir auf den Magen.
Für die fünf Kilometer von Gries zum Brenner brauchten wir fast eineinhalb Stunden, weil wir uns Zeit ließen und immer wieder Pause machten. Als Bahnfahrer, die vom Brenner immer nur den eher einsamen Bahnhof kennen gelernt hatten, staunten wir über den belebten Ort. Wir ließen uns zur Belohnung für den Aufstieg auf einen Kaffee nieder, wurden von ein paar Leuten wegen unserer Tour und unserer Ausrüstung befragt und bestaunt, kauften Obst und fuhren weiter, in Erwartung einer gemächlichen Abfahrt.
Zunächst fuhren wir auf und entlang der Staatsstraße, dann folgten wir einem Radweg, der ein ganzes Stück in ein Tal hinein und mit einigen Steigungen bei Gossensass wieder heraus führte. Auch der weitere Verlauf des Radweges enthielt ein paar Steigungen, die uns auf der Hauptstraße erspart geblieben wären. In Sterzing wuschen wir unser Obst an einem Trinkbrunnen, der nur drei dünne Rinnsale spendete.
Ein Stück weit ging es dann entlang der Autobahn, bei Stilfes wieder weg von ihr und in steten Wellen mit unangenehmen Anstiegen und ein paar sehr steilen Abfahrten weiter, bis wir Bahn, Fluss und Autostrada schließlich wieder erreichten. Wir kamen nach Franzensfeste, dann ging es einen steinigen Weg steil aufwärts und wieder hinab, was eher unserer Vorstellung von einem Mountainbike-Trail entspach, als der gemütlichen Abfahrt, die wir erwartet hatten.
Wieder am Eisack-Fluss entlang kamen wir nach Brixen und tranken Apfelschorle, während sich ein altes sächselndes Paar neben uns riesigen Eisbechern hingab.
Das letzte Wegstück schließlich führte uns immer am Fluss entlang zum Zielort des Tages, Chiusa/Klausen. Da hatten wir im Laitacherhof reserviert und bekamen ein recht anständiges, aber etwas duster beleuchtetes Zimmer mit dem Charme der späten Siebzigerjahre, dunklem Holz, indirektem Licht aus der Vorhangblende und erbswurstsuppengrüner Sanitärkeramik.
Die etwas wortreiche Dame vom Empfang legte uns sehr den heutigen Grillabend ans Herz, aber da ist das Angebot für Friederike als Vegetarierin ja eher bescheiden und es war uns auch nicht nach der Gesellschaft der übrigen Hausgäste.
So bezogen wir unser Zimmer und gingen später in die Altstadt, wo wir am Ende einer langen Gasse mit malerischen, zum Teil mittelalterlichen Häusern an einem netten Platz das Lokal zum Hirschen fanden, wo es zwar keine ausgestopften Jagdtrophäen gab, aber gutes Essen und interessantes naturtübes Bozener Bier. Wir waren von der Tagesetappe etwas enttäuscht gewesen, aber der Abend brachte das wieder in Ordnung.
Als wir im Hotel ankamen, war der Grillabend mit Heimatmusik noch nicht zu Ende. Wir setzten uns noch zu einem letzten Bier in den leeren Gastraum und nutzten den oben in unserem Zimmer nicht verfügbaren Internetzugang. Am Ende stand mit einer Hotelbuchung auch die nächste Reiseetappe fest.
4. August 2015 – Kolsass – Gries am Brenner (61 km)
Heute gab es kein Frühstück. Unser erster Weg führte zum Supermarkt, um Obst und Tomaten zu kaufen. Der zweite Weg sollte in ein Café führen, aber das haben wir irgendwie verpasst und so folgten wir zuerst dem durch das weite Tal mäandernden Radweg innaufwärts.
Später kamen Gewebegebiete, erstaunlicher Weise auch einige große Recyclingunternehmen, die ich an dieser Stelle eher nicht erwartet hätte, in Wattens die riesige Fabrik von Swarowski, die mit ihren wuchtigen Gebäuden und Anlagen den alten Ort vollkommen erdrückte. Dann kamen aber auch wieder Maisäcker, Krautäcker und große Felder mit Küchenkräutern. In Hall machten wir einen Abstecher zu einem Café am Fuße der Altstadt und gönnten uns ein verspätetes Frühstück aus Milchkaffee und österreichischen Kipferln zum Eintauchen.
Dann ging es weiter, teils in unmittelbarer Nähe zu Auto- und Eisenbahn, dann auch wieder am Inn entlang und schließlich hinein nach Innsbruck, wo wir langsam die Altstadt durchquerten.
Auf der anderen Seite begann bald in weiten Kurven der Anstieg aus dem Tal.
Dann wurden die Kurven enger, die Straße weiterhin ansteigend aber nicht mehr so steil. Schon von weitem sahen wir hoch oben die weit gespannte Europabrücke der Autobahn, die wir schließlich unterquerten.
Begleitet von Motorrädern, Campern, Pkw und gelegentlichen Lkw kamen wir nach Matrei, wo wir am starken Strahl eines Trinkwasserbrunnens unsere Vorräte auffüllen konnten, und schließlich in das ebenso malerische Steinach.
Von da war es dann nicht mehr allzu weit bis zu unserem Tagesziel, Gries am Brenner, wo wir ein Zimmer im Weißen Rössl gebucht hatten.
Man hatte uns offenbar erst später erwartet und so wurde das Zimmer erst hergerichtet, während wir unter Sonnenschirmen im kleinen Gastgarten hinter dem Haus gespritzen Apfelsaft tranken. Unser Zimmer war hell und licht und mit weißen Möbeln aus dem Hause Ikea eingerichtet, darunter die derzeit berüchtigte Kommode mit dem sprechenden Namen "Malm", die kleine amerikanische Kinder unter sich begräbt, wenn sie an den Schubladen zu klettern versuchen und niemand den Eltern die Aufbauanleitung vorgelesen hat, in der steht, man möge Malm kippsicher an der Wand befestigen. Auch hier, in Gries am Brenner, war dies nicht geschehen.
Wir richteten uns ein, machten uns frisch, ruhten eine Weile und gingen dann nach unten in die Jägerstube zum Abendessen. Dort wimmelte es nur so von ausgestopftem Getier. Da gab es einen Dachs, Wiesel, Murmeltiere, an den Wänden Gamsköpfe und solche von Rehböcken, zahlreiche Geweihe, etliches Federvieh, mindestens zwei Wolpertinger, und in einer Ecke röhrte ein veritabler Sechzehnender mit brünftig herauspräpariertem Geschlechtsteil. Über unser Mahl schließlich wachte ein ebenfalls beachtlicher Hirschkopf.
Wir ließen es uns schmecken, tranken noch ein Bier und gingen dann ungewöhnlich zeitig zu Bett. Der Tag war anstrengend gewesen und der nächste würde es nicht minder.
3. August 2015 – Lenggries – Kolsass (79 km)
Das Hotelfrühstück im Arabella Brauneck ließ keine Wünsche offen. Es gab allerlei kleine Semmeln und Brezen, Wurst, Käse, Schinken, Obadztn, Eier- und Fleischsalat, vorgeweichtes Getreideschrot, Quark, Joghurt und Vanillecreme, Rostbratwürste, Rührei, auf der Zunge schmelzenden gerösteten Speck, Croissants, Schoko-Rotwein-Kuchen und vieles andere mehr. Wir konnten natürlich bei weitem nicht alles probieren, aber einiges davon gönnten wir uns doch.
Der erste Weg führte uns zu einem Schuhgeschäft, wo ich mir zusätzliche Löcher in meinen neuen Gürtel stanzen ließ, denn der Verkäufer auf der Auer Dult hatte meinen Leibesumfang deutlich unterschätzt und ich drohte, meine Shorts zu verlieren. Eine freundliche Schuhverkäuferin half dem ab.
Dann ging es über die Isarbrücke und auf der Straße weiter nach Wegscheid, dann ans östliche Isarufer und entlang der Bundesstraße zum Sylvensteinsee und weiter am Walchen entlang, dann auf der Achenseestraße oder ihrer Nähe, dann sehr schön am Ufer des Achensees. In einem netten kleinen Wirtsgarten am See machten wir Pause und tranken Cafelatte. Eine arabische Familie mit jungen Frauen in Kopftüchern und einer älteren im Tschador war auch da.
Hinter Maurach gab es eine kleine Verwirrung hinsichtlich des Wegverlaufs, aber so gelangten wir in den Genuss, die dampf- und rauchgetriebene Achensee-Zahnradbahn den Berg herauf keuchen zu sehen. Von da an ging es auf der serpentinenreichen Hauptstraße flott abwärts abwärts ins Inntal. Friederike brachte es auf 45, ich auf 59 km/h.
In der Nähe von Jenbach gelangten wir zum Inn und von da an ging es immer in Tuchfühlung mit Auto- oder Eisenbahn innaufwärts. Kurz hinter Schwaz, bei Terfens, wechselten wir ans rechte Innufer und kamen alsbald nach Kolsass und zur Pension Edelweiß, wo wir gebucht hatten. Ein Kuvert mit unserem Schlüssel hing schon an der Tür, die Rezeption war im Schreibwaren- und Andenkenladen unten im Haus, Zimmer und Bad waren einfach aber völlig in Ordnung. Wir machten uns frisch, wuschen etwas kleine Wäsche, ruhten uns aus und gingen dann hinaus, um das Gasthaus Steixner zu suchen, das ein Handzettel im Zimmer empfohlen hatte.
Zuerst suchten wir in Richtung Kirchplatz, dann fragte Friederike ein paar Jungs, die in einer Garage an ihren Mopeds bastelten. Sie meinten, das wäre ganz schön weit, den Berg rauf, drüben wieder runter, über den Bach, dann nach rechts. Die Anleitung stimmte, nach vielleicht 800 Metern waren wir da.
Der Gasthof war freundlich, das Essen gut die Gäste aus verschiedenen Ländern. Neben uns unterhielt ein freundlicher tiroler Bauer seine auswärtigen Freunde mit Geschichten aus der Gegend und verspeiste dabei einen beachtlichen Fleischspieß. Wir waren zufrieden und gingen zurück zur Pension.
2. August 2015 – Riemerling – Lenggries (59 km)
Den ersten Tag unserer Sommertour wollten wir ruhig angehen lassen und haben deshalb das Tagesziel nicht so weit gesteckt. So konnten wir in Ruhe frühstücken, aufräumen, die Fahrräder reisefertig machen und nach Mittag gemächlich losradeln.
Der erste Teil der Tagesetappe folgte wohlbekannten und häufig gefahrenen Wegen. Über Brunnthal und Otterloh ging es nach Sauerlach und dann, mit etwas zu viel sonntäglichem Trubel, entlang der Staatsstraße über Otterfing nach Holzkirchen. Dort dann durch ruhige Wohnstraßen am Zentrum vorbei und dann entlang der Bundesstraße weiter nach Großhartpenning. Langsam wurde es sonnig und voralpenländisch und, als wir die Bundesstraße verließen, auch ruhig. Kloster Reutberg war gut besucht, aber das reizte uns jetzt nicht.
Auf der Kreisstraße ging es weiter nach Kirchbichl, dann nach Tölz. Dort fuhren wir, verbotswidrig, aber gaanz langsam, die schmucke Altstadt hinunter, wo sich die Freischankflächen dicht an dicht reihen und allerhand los war. Wir überquerten die Isar und trafen auf den Isar-Radweg, dem wir flußaufwärts ein kurzes Stück folgten, bis eine Bank zur Rast einlud. Die Eier, die sich noch im Kühlschrank befanden, hatten wir, hartgekocht, mitgenommen, einige Camemberts hatten wir auch noch eingepackt, dazu etliche Scheiben Brot. Wir speisten mit Blick auf die Isar, wo große Schlauchboote mit stets gleich in gelben Helm und orangefarbene Schwimmweste gekleideten, etwas unkoordiniert paddelnden Besatzungen flussab trieben.
Weiter ging es durch schöne Aulandschaft mit Kiefern und Birken, bis wir schließlich Lenggries erreichten, wo wir vom Isarweg abzweigten, um zum Arabella Brauneck Hotel zu gelangen, wo wir für die Nacht gebucht hatten. Es erwies sich als etwas klotzig in den Ort gebaut, aber aus Sicht des Gastes völlig ok. Über die Tiefgarage ging es in den hinter schweren, selbstschließenden Türen etwas umständlich zu erreichenden Fahrradkeller, aber vom anschließenden Flur brachte uns ein Lift bis in unser Stockwerk. Wir richteten uns so weit ein, wie es für eine einzige Nacht nötig ist, duschten und machten uns dann auf die Suche nach Abendessen.
Beim Altwirt wurden wir fündig. Da gibt es sowohl Schweinsbraten, als auch explizit je ein vegetarisches (Pfifferling-Wirsing-Lasagne) und ein veganes Gericht, und das passte. Zum Abschluss schmeckte uns noch ein Aventinus, und das verleiht bekanntlich die nötige Bettschwere
4./5. Juni 2015 – Moskau – München
Der Rest ist schnell erzählt.
Der Wecker gönnte uns nur viereinhalb Stunden Schlaf und meldete sich schon um halb Fünf Uhr früh. Eine Stunde später waren wir auf der Straße. An der Metrostation musste mein Rucksack durchleuchtet werden. Mindestens die Sigg-Wasserflasche aus Aluminium hätte alles Mögliche sein können, ein paar elektronische Kästchen und reichlich Kabel waren auch dabei. Aber wir durften weiter, ohne auszupacken. Um die Spannung zu erhöhen, dauerte es jetzt, am frühen Morgen, länger als sonst, bis eine Bahn kam und in der Wartezeit stellte sich bei uns leiser Zweifel ein, ob die Metrostation "Beloruskaja" identisch mit dem gleichnamigen Fernbahnhof sei. Aber beim Aussteigen hatten wir uns dann schnell orientiert und fanden auch gleich den schon bereit stehenden Zug "Moskau - Paris". Den gleichen Wagentyp hatten wir auch auf der Fahrt von Warschau nach Minsk gehabt. Nach einiger Zeit durften wir einsteigen und nahmen das bequeme Abteil ein, das wir für uns allein hatten. So konnten wir wieder je nach Laune unten sitzen oder oben schlafen und so verbrachten wir den Tag. Einmal wurde Tee gebracht, einmal bestellten wir "Cappuccino" und bekamen heißes Wasser und ein Tütchen mit Pulver, was zusammen eher einen übersüßten Kakaotrunk ergab, aber wenig mit Kaffee zu tun hatte.
Die Fahrt velief ohne besondere Vorkommnisse, bis wir am frühen Abend Brest erreichten. Da wurden die Pässe kontrolliert und eingesammelt, dann ging es wieder in die bekannte Halle, wo die Waggons angehoben und auf andere Drehgestelle mit westlicher Spurweite umgesetzt wurden. Heute, bei Tageslicht, konnten wir den Vorgang ausführlich beobachten, zumal ein anderer Zug neben uns parallel bearbeitet wurde. Das Ganze dauerte natürlich seine Zeit. In der Abenddämmerung fuhren wir wieder ab. Als wir den Bug überquerten, ging rot die Sonne unter.
Am nächsten Morgen hatten wir in Berlin zwei Stunden Aufenthalt. Wir frühstückten und setzten uns für eine Weile an die Spree. Am Nachmittag waren wir in München
3. Juni 2015 – Moskau
Diese Nacht ruhte die Baustelle, so dass wir ungestört schlafen konnten. Eine Spezialität hatte unser Zimmer noch zu bieten: Egal, ob man den Warmwasser- oder den Kaltwasserhahn aufdrehte, es kam sehr heißes Wasser. Erst wenn man das "kalte" Wasser länger stark abfließen ließ, wurde es kühler. Dafür war die Klobrille morgens schön warm, denn auch der Spülkasten war heiß.
Wir kamen diesmal etwas spät zum Frühstück und suchten schnell alles zusammen, was wir essen und trinken wollten, denn wir hatten in den letzten Tagen gesehen, dass das Buffet zum Ende der Frühstückszeit kurz nach Zehn recht konsequent abgeräumt wird.
Die Wettervorhersage kündigte Sonnenschein und 28 Grad an. Wir hatten beschlossen, den Kreml zu besichtigen. Der ist nicht so hermetisch abgeschlossen, wie man sich das vielleicht vorstellt. Natürlich gibt es Sicherheitskontrollen und viele Wächter, wie überall in dieser Stadt, und längst nicht alle Areale sind zugänglich, aber in den Besucherbereichen kann man sich frei bewegen. In den dunklen Kirchen gab es einiges Gedränge, hauptsächlich von Asiaten, vermutlich Chinesen. Draußen war es sommerlich heiß, die goldenen Kuppeln der Kirchen glänzten in der Sonne und das gleißende Weiß ihrer Wände stach in die Augen. Wir sahen uns alles gründlich an. Chrustschows Glaspalast, der etwas derb und unpassend dasteht, bekam gerade die Fenster geputzt. Dazu seilten sich die Fensterputzer/innen auf Bettchen sitzend von der Gebäudeoberkante ab, wie wir das auch schon an einem anderen Ort in der Stadt bei einem Bauarbeiter gesehen hatten, der mit Verputzarbeiten beschäftigt war.
Wir verließen den Kreml, holten unser Gepäck von der Aufbewahrung und gingen weiter. Im Café Wolkomsky, wo die Wände mit Kopien einiger Zeichnungen von Sempé dekoriert sind, bekamen wir bei französischer Musik süße Teilchen zum Tee. Auf unserem weiteren Weg begegnete uns eine weiße Honda Gold Wing, von der laute Musik mit dröhnenden Bässen ausging. Der Fahrer trug Hemd und Hose, als käme er gerade aus dem Büro, und dazu einen altenglischen Bobby-Helm. Es gibt hier jede Menge Exzentriker, die sich ungeniert ausleben, und eine oft recht derbe Art, Reichtum zur Schau zu stellen. So sieht man zwischen den vielen schwarzen Limousinen immer wieder auch flache Sportwagen in knalligem Rot oder sehr ausgefallene Lackierungen, wie z.B. einen großen Mercedes-Geländewagen in Post-Gelb mit schwarzen Zierstreifen.
Nicht ganz leicht war es, in der Gegend unseres Hotels einen gewöhnlichen Supermarkt mit normalen Preisen zu finden. Durch die Nähe zum Kreml und die teure Geschäftslage gabt es nur hochpreisige Lebensmittelläden. Nach einigem Laufen fanden wir doch noch ein Geschäft, in dem wir uns relativ günstig mit Wasser und Proviant für die Heimreise eindecken konnten. Dafür mussten wir die Tüten dann recht weit schleppen, bis wir im Hotel waren. Dort ruhten wir ein wenig aus und gingen dann auf Empfehlung der Rezeptionistin in ein nahes Lokal mit dem Namen "My-My" (Muh Muh) und einer großen Kuh davor. Da gab es bei einem Klangteppich westlicher Lounge-Musik anständiges lokales Essen in Selbstbedienung zu zivilen Preisen.
Wir flanierten noch durch den lauen Sommerabend, saßen auf einer Bank auf dem Platz hinter dem "Zentralen Universal-Magazin" und sahen den Leuten zu. Ringsum saßen junge Leute mit Bier in Plastikbechern, das vor einem Lokal frisch vom Fass ausgeschenkt wurde. Frauen in knappen Sommerkleidern kamen vorbei, solche mit extrem hohen dünnen Absätzen. Paare liefen die Straße entlang, saßen am Rand, umarmten sich in eindeutiger Weise. Moskauer Erotik ist anders, als die in Rom oder Paris. Nicht zudringlich, aber auch nicht romantisierend oder verspielt, sondern direkt, physisch und durchaus anregend, fanden wir beide.
Mit einem Mal erklang Musik, so laut, dass sie den großen Platz beherrschte. Sie kam aus einer am Rand geparkten schwarzen Limousine. Zuerst russischer Pop im italienischen Stil, dann kräftige internationale Rhythmen. Der Fahrer saß ganz ruhig bei geöffneten Türen da und ließ sich und den Platz beschallen. Wir holten uns auch von dem Bier und setzten uns wieder auf eine Bank. Hinter uns baute sich der Mann mit der singenden Säge auf, den wir schon vor dem Kreml und an mehreren anderen Stellen der Stadt angetroffen hatten. Seine erste Nummer war "Country Road", später kam "Michelle" von den Beatles. Skater flitzten vorbei und zwischen den Passanten hindurch, hinter den roten Vorhängen des mittlerweile geschlossenen Kaufhauses erkannte man die Silhouette einer Person, die sich umzog. Der Musiker spielte "Besame Mucho". Drei beleibte junge Frauen in gewöhnlichen Jogginganzügen ritten auf stämmigen Pferden vorbei. Wir spekulierten, ob es am Kontrast zwischen dem frostigen Moskauer Winter und der jetzigen sommerlichen Wärme liege, dass die Menschen so ganz besonders gelöst wirkten. Die singende Geige hatte zu schnulzigen Klängen gefunden. "El Condor Pasa". Ich holte noch ein Bier. Vor dem Lokal dröhnte "Sex Bomb" von Tom Jones. Die Säge intonierte "Strangers in the Night". Als wir eine halbe Stunde vor Mitternacht den Platz verließen, war der Bierausschank geschlossen, aber das bunte Treiben schien noch lange nicht beendet. Wohl aber unser Aufenthalt in Moskau, denn das war unser letzter Abend in dieser auf ganz unerwartete Weise faszinierenden Stadt.
2. Juni 2015 – Moskau
Das neue Zimmer war etwas größer, aber anstelle des Kompressors lärmten nun nachts die Bauarbeiten an einem Nachbarhaus. Die Arbeiter wirkten nicht besonders schnell, dafür machten sie durch. Beim Duschen verschwand ein Teil des Wassers zwischen Wanne und Wand und trat dann vorne unter der Wanne wieder zutage, so dass das Bad bald unter Wasser stand. Zum Frühstück probierten wir heute mal die angebotene Buchweizengrütze. Irgendeine Sauce dazu wäre nett gewesen.
Als wir in der Metro waren und uns am Bahnsteig fragten, welches nun das richtige Gleis sei, fiel uns auf, dass wir unseren Reiseführer im Zimmer gelassen hatten. Ohne die Karten und Pläne darin wollten wir nicht durch den Tag irren, also liefen wir nochmal zurück. Dann ging es los zum Neujungfrauen-Kloster, wo wir eine ausgiebige Besichtigungsrunde durch Museum und Kirchen machten. Früher wurden Frauen aus einflussreichen Familien hier untergebracht, die sich unbeliebt gemacht hatten oder sonstwie im Weg waren. Die heutigen Bewohnerinnen sahen wir eifrig mit dem Smartphone hantieren. Nett waren zwei alte Kartenabreisserinnen, die jeweils ein Stückchen unserer Eintrittskarten abrupften und dabei umständlich beflissen erklärten, dass es drei Abteilungen gebe, und deshalb auch drei abzuknibbelnde Abschnitte usw. Eine der Alten schien sich die Langeweile damit zu vertreiben, dass sie aus den Abrissen Muster legte. Es kamen nicht viele Besucher. Nur zum Schluss trafen wir noch auf eine italienische Reisegruppe mit einem sehr bestimmenden Führer, der jeden Satz mit "Signori!" begann. Wir sahen zahlreiche Ikonen und prachtvolle alte Malerei.
Neben den Klostermauern gibt es einen Friedhof, den wir auch noch besuchten. An den Begräbnisstätten kann man allerhand über eine Kultur lernen, deshalb gehören sie bei Städtereisen oft zu unserem Programm. Hier waren die Denkmäler opulent bildhauerisch gestaltet und bildeten oft die Verstorbenen zusammen mit den Insignien ihres Berufes ab. Wir sahen Waffen aller Art, Musikinstrumente, Denker, Redner und Tänzerinnen in Aktion und obwohl die Kyrilischen Inschriften für uns auch nach einigen Tagen noch nicht flüssig lesbar sind, fanden wir doch die Gräber von Chrustschow, Jelzin, Tolstoj, Gogol, Tschaikowski, Bulgakow und einiger anderer Berühmtheiten. Auf dem Friedhof waren auch ein paar Reisegruppen unterwegs, die Führerin immer mit einem bunten Schirmchen voraus.
Wir verließen den Friedhof, suchten in einer großen Siedlung nach einem Supermarkt und fanden im Souterrain eines Gebäudes einen Laden der österreichischen Billa-Kette. Wie auch sonst gab es hier alle nur denkbaren europäischen Lebensmittel- und Getränkemarken. Jedenfalls in diesem Bereich ist nach unserer Wahrnehmung nichts von Handelsbeschränkungen zu bemerken. Wir kauften Bananen, Gebäckstückchen, Kefir im Viertelliter-Tetrapack, Schokolade und Mineralwasser. Nach einigen Fehlversuchen können wir jetzt Wasser mit und ohne Kohlensäure ganz gut unterscheiden. Wir fanden keine freie Parkbank und vezehrten die Sachen vor der Metrostation im Stehen, anschließend gingen wir noch zu einem Kaffee in ein nahes Café.
Dann fuhren wir zurück in die Innenstadt und liefen wieder durch die Fußgängerzone Arbat, diesmal mit einem Besuch im Souvenirladen. Heute brauchten wir drei Versuche, um von einem Bankautomaten Geld zu bekommen und erhielten dann unsere ganze Abhebung in einem einzelnen Schein von 5000 Rubel (ca. 87 Euro), was zum Bezahlen für kleine Einkäufe etwas ungünstig ist. Wir saßen noch einige Zeit auf einer Bank und sahen den Leuten zu, die entlang kamen, dann gingen wir wieder ins "Varenichnaya", wo es uns am Vortag schon gut gefallen hatte. In dieser Hinsicht neigen wir zur Standorttreue. Heute war es besonders nett, denn die asiatisch aussehende und noch etwas unbeholfene Kellnerin bekam Übersetzungshilfe von einem Kollegen und unsere Bestellungen wurden ein nettes Wechselspiel zwischen den beiden und uns.
Jemand hatte erzählt, man solle in Moskau Blickkontakte meiden, die Leute würden das nicht mögen. Nachdem ich es nur schwer vermeiden kann, den Mitmenschen in die Augen zu schauen, hatte ich mir schon Sorgen gemacht. Aber alles kein Problem. Blickkontakte werden aufgenommen, Lächeln wird erwidert, es ist alles sehr freundlich und unkompliziert. Nur die Wächterinnen und Wächter sind schwer zum Lächeln zu bewegen. Sie stehen an den Eingängen von Gebäuden und Bahnhöfen. Sie stehen mit Metalldetektor-Paddeln hinter den Detektor-Gates der U-Bahn-Stationen, Kaufhäuser, Museen, Freizeitveranstaltungen. Am Fuß aller längeren Rolltreppen sitzen meist Frauen in einer engen Kabine, etliche Monitorbilder vor sich und das Geschehen auf der Treppe fest im Blick. Bei dem immensen Fahrgastaufkommen darf der Personenfluss nicht stocken. Die Bahnen fahren in kürzestem Taktabstand, durch die langen Flure und über die Treppen der Umsteigestationen bewegt sich zu den Hauptverkehrszeiten ein dichter Menschenstrom.
Nach dem Essen flanierten und saßen wir noch auf der Straße. Immer wieder gab es Musikanten, die aufspielten. Bei einem Lokal war Bikertreff. In Reih und Glied standen die schweren hochglanzpolierten Maschinen da. Zum Teil abenteuerlich gekleidete Typen daneben. Während ich das schreibe, kommen zwei Maschinen mit LED-umkränzten Felgen vorbei. Radfahrer sind nicht sehr häufig und teilen sich die Wege meist mit den Fußgängern, zwischen denen sie sich mit hohem Tempo hindurchschlängeln. Ein Lokal am Arbat ist ein ausrangierter Omnibus, der Fahrerstand ist Bühne für Live-Musik. Als wir an diesem Tag vorbeikamen, erklang gerade der alte Hit "I'm a Believer". Das Lokal gegenüber dem Bus heißt "Beverly Hills Diner". Ich hätte noch lange an dieser Straße sitzen und darüber erzählen können, aber langsam wurde es spät und Friederike mochte die noch sehr übungsbedürftige Musik einiger Kids nicht mehr, die uns gegenüber saßen, also zogen wir durch den lauen Abend an dem auch bereits müde wirkenden Dostojewski-Standbild vor der Lenin-Bibliothek vorbei zu den Alexandergärten und mit einem Schlenker über den Roten Platz zurück ins Hotel. Es war gegen Mitternacht und eine Gruppe Asiaten, die sich von draußen irgendein Fertiggericht mitgebracht hatten, debattierten mit der Kellnerin über die Benutzung des schon zum Frühstück bereit liegenden Bestecks. Sie versprachen schließlich, zu spülen. Eine Italienerin skypte und wir tranken noch ein letztes Bier.